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Mit eindringlicher Diktion

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Zweites Akademiekonzert zwischen Beethoven, Brahms und Arenskij

Fremde Ufer zu entdecken ist gewiss nicht immer bequem, aber nützliches Angebot. Dass man sich bei der Internationalen Sommerakademie auch zu fremden Gestaden aufmacht – davon ließe sich ausführlich erzählen. Stammpublikum weiß, dass hier auch Komponisten zu Gehör gebracht werden, von denen man trotz eines gewissen Interesses fürs Konzertrepertoire nichts wusste oder zumindest noch keine Note zur Kenntnis genommen hatte.

So einer ist Anton Stepanowitsch Arenskij, der im Jahr 1861 im fernen Nowgorod geboren wurde, in St. Petersburg Musik studierte, in Moskau lehrte und im Jahr 1906 starb. Wenig freundliche Musikwissenschaftler sagen von ihm, dass er keinen eigenen Stil entwickelte, sich zu sehr an Rimski-Korsakow und Tschaikowski anlehnte und seine Musik sowieso wenig Tiefe habe. Wie sehr daneben das ist,  davon konnte sich das begeisterte Publikum im zweiten Akademiekonzert überzeugen.

Helen Yu

Es war der Abend der Kammermusik; und man könnte wieder einmal Goethes Meinung zum musikalischen Quartett und dessen Akteuren niederschreiben. Aber Goethe war darin nicht der Kompetentesten einer, denn er spielte selber kein Instrument. War höchsten in die schöne Pianistin verliebt (Maria Szymanowska). Außerdem gibt es auch gegensätzliche Aussagen zu diesen Instrumentalisten… Im Idealfall, so machte es wissenschaftlich vor geraumer Zeit die Runde, sind sogar Atem-, Puls- und Herzfrequenz von Quartettspielern im Takt. Aber darum geht es hier nicht.

Auf dem Programm des zweiten Akademiekonzerts der diesjährigen Internationalen Sommerakademie standen zwei Quartette und ein Quintett. Klavierquartette. Mit heiterem Wesen begann das von Ludwig van Beethoven. Hinter der Werknummer WoO 36 verbirgt sich ein Set von drei Klavierquartetten, die 1785 fertiggestellt wurden. Das Genie war also gerade 14 Jahre alt (1828 posthum veröffentlicht). Genauso alt ist auch Pamina Seiberling am Klavier, die von Michael Drescher (22  Violine) und den Dozenten Jenny Miller (Viola) und Mark Schumann (Violoncello) unterstützt wurde. Es erklang der erste Satz Allegro vivace. Das Stück ist hörbar Mozart-like; so wie beispielsweise das erste Klavierkonzert des Komponisten auch. Aber es wurde mit der nötigen charmanten Leichtigkeit und Musizierkunst präsentiert. Mit frischer Verspieltheit war das ein schönes Entree.

Sara Ferreira, Anastasiya Magamedova und Milka Maloteaux.

Danach wurde es düsterer, denn Johannes Brahms breitete seine unerwiderte Liebe zu Clara Schumann vor uns aus: Klavierquartett c-moll op. 60. Der Komponist hat 20 Jahre daran gearbeitet, hat die Partitur mit sich getragen, dass sie reife. Als er die Blätter am Ende 1875 seinem Verleger schickte, schrieb er die Anmerkung dazu, man könne auf die Partitur den Komponisten im Werther-Kostüm abbilden. Sie wissen schon: Blauer Rock, gelbe Weste und Hose. Hat sich der junge Brahms wirklich so von der Liebe zu Clara aus der Bahn werfen lassen, dass er an Werthers Schicksal dachte? Also an Selbstmord?

Das Quartett jedenfalls beginnt mit einem erschütternden Moll-Akkord, besteht aus Seufzern und Verzweiflungsausbrüchen. Besänftigt sich das Ganze im Andante des dritten Satzes, so kommt der vierte doch wieder sehr dramatisch und aufwühlend daher.
Die Klavierparts hatten Paris Chen und Helen Yu (beide 18 – Taiwan/Kanada) übernommen, begleitet von den Dozenten Stephan Picard, Stefan Hempel, Jenny Miller und Mark Schumann. Die beiden Pianistinnen brachten eine dramatisch stimmige Interpretation von starker Ausstrahlung aufs Podium, genauso aber spielten sie die Musik voller barmherziger Anteilnahme in wohltuend eindringlicher Diktion. Die beiden jungen Künstlerinnen sind den begleitenden Dozenten durchaus gewachsen, müssen sich nicht durch Lautstärke bemerkbar machen oder profilieren. Insgesamt ein beunruhigendes, aufwühlendes Werk und sehr beeindruckender Auftritt.

Brahms-Quartett

Nach der Pause dann der Arenskij, sein Klavierquintett D-Dur op. 51. Am Flügel hielt Anastasiya Magamedova (24 – Tadschikistan) alle vier Sätze bravourös durch, Milka Maloteaux (33 – Niederlande) an der 2. Violine ebenfalls. In der ersten Geige wechselten Friederike Remmler (23 – Deutschland) und Sara Ferreira (23 -Portugal). Jenny Miller und Sabine Frick unterstützten sie mit Bratsche und Violoncello. Es war Frauenpower pur! Die vier Sätze, die eingängig sind, wobei einem manches sogar bekannt vorkommt, besaßen die konsequente Energie, die sie brauchen. Obendrein hatten sie einen voluminösen, blutvollen Ton. Das lustvolle Spiel der Musikerinnen wurde den Noten in jeder Nuance gerecht: In der anklingenden Wehmut und der französischen Noblesse gleichermaßen. Das alles machte diese musikalische Entdeckung zum Erlebnis.
Ganz unverkennbar und beglückend in Musikalität und Temperament hat so auch das zweite Akademiekonzert die Erwartungen erfüllt.

Barbara Kaiser – 20. Juli 2022

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