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Feuilleton

Ein französischer Abend

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Das 3. Akademiekonzert der Sommerakademie bot Noten von Ysaӱe, Fauré und Poulenc

Auch Hercule Poirot, Agatha Christie`s Detektiv, war stets indigniert, wenn man ihn für einen Franzosen hielt. Und so möge es der Belgier unter den Komponisten verzeihen, dass auch er unter „französisch“ subsummiert wird in der Überschrift; aber Ysaӱe war französischsprachiger Belgier. Das dritte Akademiekonzert der Sommerakademie war also französischsprachig und huldigte daneben auch Jubiläen: Dem 100. Todestag von Gabriel Fauré und dem 125. Geburtstag von Francis Poulec. Eine geschichtsträchtige Angelegenheit.

Eröffnet wurde es allerdings fröhlich: Die Kontrabassisten um Professor Nabil Shehata erfreuten die Zuhörer open air vorm Langhaus mit einer Komposition – oder besser einem Zusammenarrangement – von Peter Grans, der in der südfinnischen Stadt Lohja zu Hause ist. Falls man bis dahin nicht wusste, dass in Skandinavien der Tango ein Thema sein könnte – mit diesem Stück „Memories of the City Turku“ erfuhr man es! Die Bassisten spielten einen herrlich groovenden Sound verschiedener Melodien dieses Ranschmeißer-Rhythmus`, der eigentlich in Südamerika verortet wird. Bis jetzt.

Stephanie Draughon, Fiona Zhonghan, Paris Chen und Anqi Lai (von hinten) auf dem Weg zum Fauré-Quintett.

Stefan Hempel  spielte mit Hinrich Alpers Francis Poulec` Violinsonate.

Danach wurde es ernster. Auf dem Programm stand „Exil!“ op. 25 von Eugène Ysaӱe für sechs Geige und zwei Violen. Dafür standen Friederike Remmel (25/Dt.), Kaixiang Wang (21/China), Iris Groh (17/Dt.) Muxiang Zhang (24/China) Marie Sophie Thiele (20/Dt.) und Sona Turabyan (27/Armenien) auf der Bühne. Dazu die Dozenten Stefan Hempel und Piotr Szumieł. Das rund zehnminütige Stück entstand in den USA, es handelt sich also um das Exil des Komponisten (1858 bis 1931). Glücklich kann er dort nicht gewesen sein, denn die Streicher produzierten ein herb-klagendes und tieftrauriges Stück Musik. In seinem langsamen Tempo wuchs die Spannung aus sich heraus, bis es mit einem hohen Ton endete, der am Herzen zog. Beeindruckend.

Es ging mit Dozentenspiel weiter: Hinrich Alpers (Klavier) und Erik Schumann (Violine) gedachten mit der Sonate Nr. 1 A-Dur op. 3 Gabriel Fauré. Das Stück ist ein Jugendmeisterwerk und erschien 1875. Der Komponist erklärte selbst zu seinem Erfolg: „Es übertraf alle meine Erwartungen.“ Ich habe lange überlegt beim Zuhören, womit die Sonate vergleichbar sei – es ist mir niemand eingefallen. Und da war es gut, dass Camille Saint-Saëns einem das abnimmt. Der schrieb nämlich: „Diese Sonate hat alles, was den Feinschmecker verführen wird: neuartige Formen, exquisite Modulationen, die Verwendung der unerwartesten Rhythmen. Und über all dem schwebt die Magie…“ Und das Wort ist es: Magie! Natürlich nur, wenn die Partitur so dargeboten wird wie von Alpers und Schumann: Erfrischend leichtfüßig, aber nie leichtfertig. Mit vitaler Klangpracht, in der lustvolles Spiel beglückend präsent bleibt. Dazu Alpers mit seinem traumhaften Anschlag und als erfahrener und versierter Kammermusiker. Und Schumann, dessen Geige zu singen versteht und bei dem die Töne alle leicht sind, auch die in Moll. Wunderbar.

Erik Schumann (Violine) und Hinrich Alpers (am Flügel) mit der Violinsonate von Gabriel Fauré.

Für die folgende Violinsonate d-moll von Francis Poulenc wechselte der Geigenpartner, Hinrich Alpers hatte sich wieder ein großes Programm auferlegt. Nun spielte er mit Stefan Hempel. Die Poulenc-Sonate hat eine Geschichte: Der Komponist führte sie auf im besetzten Paris von 1943 und verbeugte sich damit vor Frederico Garcia Lorca. Während Poulenc sein Bekenntnis den deutschen Faschisten vor die Füße warf, war der Dichter sieben Jahre davor (1936) den spanischen Faschisten zum Opfer gefallen. Sie erschossen den damals größten Poeten Spaniens und verscharrten seine Leiche. Man bedenke, dass es auch für Poulenc das letzte Konzert hätte gewesen sein können – sein Mut von 1943 ist zu bewundern.

Er bekannte zu seiner Musik, dass es ihm schwer gefallen sei, seine ganze Leidenschaft für Lorca musikalisch zum Ausdruck zu bringen und so sei seine Sonate „leider nicht der beste Poulenc“. Was jedoch an Zerrissenheit, Furor, Melancholie und Esprit erklang imaginierte Andalusien, die Heimat, die der Dichter einst besungen hatte… Alpers und Hempel interpretierten das Versunkene nicht zu dunkel, das Sprühende nicht zu ausufernd, mit einer energischen Tongebung, die sich jedoch nie in den Vordergrund spielte. Großartig.

Zum Abschluss kamen noch einmal Studenten:innen zu Zuge. Die Geigerinnen Anqi Lai (20/China) und Fiona Zhonghan (21/China) wechselten die Positionen der ersten und zweiten Geige, die Pianistinnen Stephanie Draughon (21/USA) und Paris Chen (20/Taiwan) die Sätze im Klavierquintett Nr. 1 d-moll op. 81 von Gabriel Fauré. Unterstützt wurden sie von den Dozenten Mark Schumann (Violoncello) und Piotr Szumieł (Viola).

Fauré widmete sein Werk Eugène Ysaӱe – womit sich der Kreis des Konzertabends schloss. Das Quintett wurde von Zeitgenossen hoch gelobt, und ein Fauré-Biograf stellte später fest: „Die Gesamtform ist ein einziges Crescendo.“ Das klingt nach Anstrengung, und das war es auch. Mitunter gewann man den Eindruck, dass die jeweils erste Geige zu viel Tempo machte, manchmal das Klavier forcierte. Insgesamt aber waren die drei Sätze ein rücksichtsvoller wie empfindsamer Dialog. Die Musiker:innen waren gegenseitige Anstifter und Animateure. Am Ende wurden alle für eine neue Hörerfahrung vom Publikum mit langanhaltendem Applaus belohnt.

Barbara Kaiser – 25. Juli 2024

Bestattungshaus Kaiser