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Allgemein Feuilleton

Der den Stahl bändigt

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Waldemar Nottbohm: Sechs Jahrzehnte künstlerisches Schaffen in einer Ausstellung

„Holz ist nicht meine Sache“, sagt der Künstler entschieden. Und straft damit den ersten Eindruck, den seine „Wegwarten“ aus Eichenstämmen, die seit geraumer Zeit die Besucher an der Woltersburger Mühle empfangen, Lügen. „Ich sehe die „Wegwarten“ (Werkgruppe A 2019/21) als Skizzen, als Gussformen für Bronzen“, fährt er fort. Wohl wissend, dass er Bronze in dieser Dimension wahrscheinlich nicht wird realisieren können…

Waldemar Nottbohm ist putzmunter, trotz seiner 92 Jahre, die er am 19. August vollendet hat. Auf seinen neuerdings benutzten Gehstock angesprochen, ärgert er sich wortreich über den falschen Tritt von der Leiter, der ihm den Meniskus anriss. Aber unters Messer will er nicht. Anderen des Jahrgangs 1930 verböte man die Leiter in diesem Alter sowieso – aber das ließe Nottbohm nicht mit sich machen. Er hatte auch wenige Ambitionen auf diese Ausstellung, die am Samstag, 20. August 2022, 15 Uhr, auf dem Gelände der Mühle eröffnet wird. Aber der Kunstverein hat sein prominentestes Mitglied eingeladen und Hausherr Gerard Minnaard versuchte sich auch mit überzeugenden Worten. „Eigentlich habe ich vieles anderes zu tun“, murrt der Bildschöpfer noch ein bisschen, aber natürlich ist er auch geehrt. Und er wird geehrt: Für ein Lebenswerk, das noch nicht an seinem Ende angekommen ist. Für seine Verdienste, beispielsweise für den Bund Bildender Künstler.

Menschenkinder

Und so erwarten den Besucher der Ausstellung (bis 18. September) sieben Werkgruppen, die für sechs Jahrzehnte künstlerisches Schaffen stehen, und die ein hübscher wie interessanter Katalog von A bis G auflistet. Unter „Werkgruppen“ summiert Nottbohm eine Anzahl von Bildern und Skulpturen, die in einem begrenzten Zeitraum entstanden. Sie behandeln ein Leitmotiv aus jeweils demselben Material; wenn es erschöpft scheint, wendet sich der Künstler einem anderen Material und/oder Thema zu.

Waldemar Nottbohm wurde 1930 in Celle geboren. Er studierte Malerei, Kunstpädagogik und Bildhauerei. Er arbeitete bei einem Steinmetz und radelte in den Semesterferien die großen Kulturdenkmäler Europas ab. Von Skandinavien über London und Frankreich bis nach Neapel. Er sah die Kaiserdome von Köln und Basel, Michelangelos David und besuchte andere Künstler. Besonders beeindruckte ihn der Brite Henry Moore (1898 bis 1986), dessen große, abstrakte Skulpturen weltweit ausgestellt sind.

Vielleicht war es folgerichtig, dass seine ältesten Arbeiten aus der Werkgruppe E (1956/61) eine gewisse Ähnlichkeit mit denen Moores haben? Bei Nottbohm tragen sie Titel wie „Speranza“ (Hoffnung) und „Zwischen Traum und Wirklichkeit“. Der Granit- bzw. Sandstein ist keine kompakte Masse, es gibt Durchblicke und konkave Ausbuchtungen, die allerdings wiederum mit Eisenstäben verstellt sind. Keine einfache Situation also, nichts Geradliniges, Einfaches schon gar nicht. Und doch sind diese beiden Werke elegant und haben zumindest für den Betrachter die Schwere des Materials abgelegt. Ich persönlich mag sie am liebsten unter den vielen Angeboten, die die Ausstellung macht.

Aber Waldemar Nottbohms Fetisch ist offenbar auch der rechte Winkel. Die Werkgruppen C (2019/21), D (1992/99) und F (1986/91) huldigen diesen 90 Grad im Raum. Der Lyriker Walter Brockmann schrieb im Jahr 1990 dazu „Skulpturen von W. N. – Abgezogen/ das überflüssig Vermeidbare/ auf Kerne reduziert…“ Und das sind sie, auf Kerne reduziert. Die Quadrate und Rahmen, die blanken Edelstahlgebilde, die „Phönix“ heißen oder „Torso“, „Ausbruch“ oder „Aufstrebend“. In „Unendlicher Weg“ kann man sich als Betrachter verlieren. Ist es nun ein Labyrinth oder kommt man irgendwo an, auch ohne Ariadnes Faden? Genauso zum Rätseln sind die „Maßwerke“ aus Werkgruppe B (1970/74). Eins steht schon länger auf dem „Friedensweg“ an der Mühle. Die Skulptur „Menschenkinder“ hat ihren Platz zwischen Büschen. Die einzelnen Figuren darin zusammengedrängt, wie Schutz suchend. Im Katalog heißt die Arbeit „Christus-Gruppe“. Als „Vision einer Menschheit, die in aller Verschiedenheit eine solidarische Einheit ist“, so die Deutung von Pastor Gerard Minnaard, die in unseren Tagen allerdings mehr und mehr zur bloßen Utopie zu verkommen verdammt ist.

Die „Maßwerke“ sind statische und kinetische Stelen, Räume aus Stahl und Luft, in denen man auf Entdeckungsreise gehen kann. Ob der Betrachter sich hineingezogen oder abgestoßen fühlt, wird in seinem Temperament liegen. Vielleicht muss er mitdenken, dass es dem Künstler immer auch um „Behausungen“ geht. Zu bewohnen sind die wenigsten, deshalb das Attribut „utopische“ davor. Schutz haben die Menschen schon immer gesucht, für sich und ihr Hab und Gut. Nottbohm, der als Neunzehnjähriger und angehender Architekturstudent beim Praktikum auf dem Bau in Hamburg viel zu viele zerstörte Behausungen sah und die Vergänglichkeit ganzer Städte erlebt hat, wechselte daraufhin das Studienfach. „Ich mochte diese ganze Trümmerwelt nicht mehr sehen“, resümierte er. Losgelassen hat ihn diese frühe Prägung offenbar nicht. Weil die Geschichte der Menschen eben eine von Zerstören – Aufräumen – Neubauen ist.

Geborgen im Wir


So gelangt der Ausstellungsbesucher vor die neueste Arbeit: „Die Klause“. Diese rote, aus Stahlblech gefertigte, begehbare Skulptur ist ein Anfang und soll die erste von noch folgenden „Hüttchen“ sein, die auf dem alten Burgwall der früheren Woltersburg stehen könnten. Hier erweist sich der Vorzug des rechten Winkels in seiner ganzen Beschützerfunktion, denn die Klause hat ein Dach und Wände, obgleich die durchbrochen sind. Sogar ein Bänkchen gibt es. Man tritt ein – und sofort ändert sich die Akustik. Man spricht automatisch leiser, setzt sich und sieht andächtig auf das Grün rundherum. Lauscht der Stille nach, die dröhnt. Man ist Teil dieses Universums und spürte das kaum anderswo so deutlich.

Wir erleben ja eine Zeit des inflationären Beschädigungseifers und gleichzeitig des wachsenden Desinteresses am Widerspruch. Jeder lebt in seiner Blase (meist virtuell) selbstgerecht und kaum zugänglich für andere Argumente. Denn Voraussetzung dafür wäre ein Perspektivwechsel, ein Zur-Ruhe-Kommen, ein Bedenken. Vor den Arbeiten Waldemar Nottbohms könnte man das alles. Seine Kunst ist ein Medium zur Reflexion, und Missverständnisse könnten Quelle neuer Erkenntnis sein. Will das noch einer? Das wäre übrigens auch das alte Prinzip der DDR-Kulturwissenschaft, das dialogische Prinzip. Ohne Belehrung. Vielleicht gar mit einer Poetisierung des Intellekts als Folge?

Steinarbeiten von links: Speranza - Der Prophet - Zwischen Traum und Wirklichkeit
Unendlicher Weg

Jeder Kunst sei Illusion eingesenkt, sagte Adorno. Die Illusion des Waldemar Nottbohm ist es, dass jeder Mensch eine Behausung haben möge. Wo auch das wuchtigste Material den Blick dennoch weitet, wo Licht und Schatten Unvorhersehbares schaffen. Es Echoräume gibt für eigene Empfindungen, Gedanken, Träume.
Nottbohm biete eine Vielfalt der formalen Einfälle an; mal kantig-streng, mal linien-anmutig. Die Kraft, mit der all diese Skulpturen geschaffen wurden, scheint sich auf den Betrachter zu übertragen. Ließe er es nur zu.

Barbara Kaiser – 18. August 2022

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