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Arbeit aus Farbresten

Kunst-Leistungskurs des Lessing-Gymnasiums stellt seine Arbeiten vor/Vernissage Freitag, 23. Februar 2024, 18 Uhr

„Entwicklung“ nennen die fünf Schülerinnen und ein Schüler des Kunst-Leistungskurses des Lessing-Gymnasiums ihre Präsentation mit Arbeiten aus fast zwei Jahren. Entwicklung – das ist ein Versprechen, das Erwartung impliziert. Auf welchen Gebieten haben die jungen Leute Fortschritte aufzuzeigen? Auf künstlerisch-praktischem wie theoretischem ohne Zweifel. Aber ganz bestimmt haben sie auch in ihrer Persönlichkeit an Reife gewonnen, an Selbstsicherheit und Eloquenz. Für mich war es Überraschung und Freude, Sophie Gajbach, Anabell Selonka, Jonathan Strömer, Beke Boßner, Lena Henkel und Aleksandra Aydin getroffen zu haben!

Von links: Sophie Gajbach, Anabell Selonka, Jonathan Strömer, Beke Boßner, Lena Henkel, Aleksandra Aydin.

„Kompetenzen in Produktion und Rezeption“ fordern die Richtlinien zum Abitur für das Fach Kunst. Daneben sollten die Kursteilnehmer:innen kunstgeschichtliches Wissen erwerben.Was hier staubtrocken klingt und über fünf Seiten so weitergeht, steht und fällt mit einem Lehrer, einer Lehrerin, die diese Vorgaben in einen lebendigen Unterricht wandelt, die Begeisterung zu vermitteln in der Lage ist. Das gilt für jedes Fach. – Zum Glück kannte ich vor meinem Besuch im Kunst-Leistungskurs dieses Amtspapier des Niedersächsischen Kultusministeriums noch nicht – vielleicht wäre ich dann nicht so bereitwillig der Einladung der Gruppe um Simona Staehr gefolgt. Die Pädagogin hatte mir vorgeschwärmt von ihren Schüler:innen. Und am Ende hatten sie mich mit Goethe geködert. Wahrscheinlich wussten sie, dass da immer was geht. Ja, man illustriere den „Erlkönig“, sagte Simona Staehr. Das macht doch neugierig, oder?

Der Besuch in einer Unterrichtseinheit – im zweiten Jahr arbeitet dieser Leistungskurs zusammen – war dann auch eine muntere Angelegenheit. Ich traf dort auf selbstbewusste junge Menschen, die sich jedoch nicht in Selbstgewissheiten sonnen, sich das Fragen nicht abgewöhnten und weiter auf der Suche nach Antworten sind. Beispielsweise wie denn die acht Paarreim-Strophen des „Erlkönig“ am besten zu illustrieren seien. Entstanden sind acht Blätter, die in aufregender Art und Weise die Dramatik der Ballade optisch zu ihrem tragischen Ende führen.

Surrealismus

Natürlich konnte ich es nicht lassen, der Schülergruppe auch mein Wissen kundzutun. Dass der Anlass für Goethe im Jahr 1782 (also noch lange vor dem Balladenjahr 1799, dem Wettstreit mit Schiller) diese Verse aufzuschreiben, eine wahre Geschichte ist: Ein Landmann reitet mit seinem kranken Kind von Kunitz zu einem Arzt an der Universität Jena. Das sind etwa sechs Kilometer. Wir wissen, dass es ein zu weiter Weg war. Schon seit 1891 steht an diesem Weg ein Denkmal des Erlkönigs, als würdig-bärtiger Herr mit Krone, wie es sich gehört. Für die Kunstkurs-Teilnehmer kam es aber nun darauf an, den Galopp des Pferdes, den Goethe eindrucksvoll in Jamben goss, die Fantasien des fiebernden Kindes und die beruhigenden Worte des Vaters in Bilder umzusetzen. Es ist ihnen, das sei hier versichert, sehr eindrucksvoll gelungen.

Der Kunstverein Uelzen hat für dieses Jahr vier Projekte mit Schülern und Studenten geplant, öffnet sich also ein weiteres Mal jungen Menschen. Wie wichtig das ist, hat auch das Land Niedersachsen erkannt und fördert mit „Schule: Kultur!“ eines dieser Vorhaben.

Eingriffe des Menschen

Leider sind die jetzigen Arbeiten nur an einem Wochenende im Theaterkeller zu sehen; ihre Ergebnisse aus fast zwei Jahren Arbeit hätten mehr Zeit des Vorzeigens verdient.

Denn es ist ja bei Weitem nicht nur der „Erlkönig“, der da dem durch die Nacht reitenden Vater das Leben vergällt. Der Leistungskurs hat sich über die Zeit mit der Untersuchung von Landschaftsbildern beschäftigt und eine Menge über die Entwicklung der Landschaftsmalerei zwischen Caspar David Friedrich und Paul Cézanne gelernt. Sie haben sich mit Max Klinger und Max Ernst beschäftigt und zu erkennen versucht, wie deren Bilder eine Auseinandersetzung mit der sichtbaren Welt sind, gleichzeitig aber über diese hinausgehen.

Sie haben aus den Abklatschen der Décalcomanie (das ist die Art der Kunstproduktion, die schon im Kindergarten geht!) mit Fantasie Eigenes geschöpft und beim Thema „Eingriff des Menschen in die Natur“ ihre Bilder offenbar nach ihrer Erfahrung geschaffen (Müll im Wald).

Ganz reizend gelungen sind kleine Formate der Anfänge, die mit Pastellkreide Landschaften entwarfen.

Vielleicht aber hat ihnen das Gestalten zu Texten am meisten Freude gemacht. Weil die optische Umsetzung einer erzählten Geschichte noch einmal ein ganz anderes Potential hat. Auf meine Frage, warum man denn Kunst als Leistungskurs wähle, waren die Antworten vielfältig. Man könne „sich ausleben“, „in die Tiefe gehen“, „experimentieren“. Und die Techniken, die man erlernt, anwenden. Dass all das gelungen scheint, beweist die Ausstellung aufs Schönste.

Lehrerin Simona-Staehr (rechts) mit Schülerinnen

Und als ich die Schüler:innen zur Hängung der Bilder vor der Vernissage noch einmal besuchte, erzählten sie vom Nutzen dieser Zeit: Man habe viel über Techniken gelernt und Materialien. Und ihre Lehrerin Simona Staehr habe sie aufgefordert, nicht gleich über einen Plan fürs Bild nachzudenken, sondern die Tatsachen anzunehmen und daraus etwas zu entwickeln. Sich also auch mal treiben zu lassen. Am eindrucksvollsten zeigt das ein Großformat, das eigentlich anfangs nur Restfarben aufnehmen sollte. Aber irgendwann habe jemand in diesem bunten Tohuwabohu eine Kontur erkannt und ausgeformt. Jetzt kann man diese Zufälle durchaus ein Bild nennen; mit Landschaft, Details, Porträts.

Man dürfe sich nicht ans Wort klammern, sondern eine emotional Ebene finden, Atmosphäre erspüren – das war für mich in den Gesprächen ein entscheidender Satz, der die Ernsthaftigkeit belegt, mit der sich junge Menschen mit ihrer Umwelt und allem darin – Literatur genauso wie Umweltverschmutzung oder Alpträumen, die sich in surrealen Arbeiten spiegeln – auseinandersetzten. Es ist eine sehenswerte Schau, die am Samstag und Sonntag, 24./25. Februar 2024, von 11 bis 14 Uhr, beziehungsweise 11 bis 13 und 15 bis 17 Uhr in der Galerie des Kunstvereins, Theaterkeller, zu sehen ist.

Barbara Kaiser – 22. Februar 2024

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