Posaunen im Quartett.
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„Opus 4“ aus Leipzig spielte das letzte St.-Marien-Sommerkonzert 2021
Es war ein würdiger Abschluss! Einer, der nach `Gloria, Victoria!` klang. War es doch wieder gelungen, die Reihe der St.-Marien-Sommerkonzerte durchzuführen. Nun sind neun Veranstaltungen, zu denen trotz pandemiebedingter Auflagen wieder rund 900 Zuhörer kamen, auch schon wieder Geschichte. „Es gab viele positive Rückmeldungen“, whats-appte Kantor Erik Matz aus dem Urlaub in den Dolomiten. Er jedenfalls war glücklich und zufrieden, dass es „sich so gut eingespielt hat“.
Für das Abschlusskonzert war „Opus 4“ aus Leipzig angereist. Die Bezeichnung Opus 4 wiese bei einem Komponisten auf Frühwerk. Das Ensemble gleichen Namens gibt es jedoch seit 27 Jahren, seine vier Mitglieder hatten somit ausreichend Zeit für Reife. Dass dabei nichts zur faden Routine gerann, bewiesen Jörg Richter und Dirk Lehmann, die beiden Gründer der Vereinigung und Musiker des Gewandhausorchesters Leipzig, gemeinsam mit Wolfram Kuhnt und Michael Peuker.
Sie hätten „es gewagt und versucht“, dieses Instrument, das im Orchestergraben so oft zu kurz kommt, populärer zu machen, moderierte Jörg Richter vor einigen Jahren einmal ein Konzert an. Und was die Herren zu bieten haben, entwaffnet jedes Gegenargument! Kein eingetrübter Ton, kein rauer Hauch. Glanz in treffenden Nuancen und Farben, Eleganz und Lakonik des Ausdrucks. Die blitzschnellen Stimmungs- und Klangwechsel haben diese St.-Marien-Stunde musikalisch aufregend gemacht.
Hätte Bach von der Vielfalt gewusst, die eine Posaune zu entwickeln in der Lage ist, er hätte mehr für sie komponiert – darüber ist sich das Quartett auf jeden Fall einig. Die Zuschauer dürften diese Ansicht teilen. Aber die Musiker nutzen für sich – bei allem Respekt – auch ferne Partituren. Sie pendelten zwischen Monteverdi-Noten und Ragtime-Schmiss. Ein Quäntchen Bach, ein Häppchen Gershwin.
Sie beherrschten alle Töne: Den schmetternd-fröhlichen Blechlärm in Dur ebenso wie ein grabestrauriges Largo-Legato in Moll. Zarte, blütenreine Glissandi, Vitalität durch Kontur und Gestik. Hier wurde die emotionale Wucht der kleinen Form aufs Schönste entfaltet.
Die Geschichte von den Mauern einreißenden Blechbläsern wurde an dieser Stelle schon einmal bemüht. Beim Gastspiel der Herren von „Opus 4“ drängt sie sich jedoch geradezu auf: Allerdings sind Richter, Lehmann, Peuker und Kuhnt keine posaunenden Priester, die damals, im Alten Testament, den Kriegern voranmarschierten (eine interessante Konstellation, oder?).
Die Mauern von St. Marien standen nach dem Konzert noch, denn die vier Leipziger bewiesen, wie sanft das Blech zu handhaben sei.
Das Programm war mit „Von Bach bis Gershwin“ richtig benannt, versammelte aber auch Partituren aus dem Frühbarock (Claude Gervaise, Josquin des Pres) und natürlich Irvin Berlins (1888 bis 1989) berühmte Ragtime Band eines gewissen Alexander.
Was die Posaunisten boten, entwaffnete jedes Vorurteil, ihr Instrument tauge nur für Geschmetter! Nichts war in diesen 60 Minuten anzukreiden, alle und alles blieb über jede Kritik erhaben.
Das von Ideen überquellende Arrangement Daniel Suttons nach George Gershwins „An American in Paris“ war ein hochkomplizierter Wirrwarr, der zum Erstaunen des Zuhörers immer zueinander passt. Aber wer schon Johann Sebastian Bachs Toccata und Fuge d-moll (BWV 565) als atemberaubenden Höhepunkt im Programm hatte, dem sollte derlei Partitur keine Mühe bereiten.
Erstaunlich, welch großartiges Klangtableau allein vier Instrumente erstehen lassen können. Man glaubt, Vielstimmigkeit zu hören, dabei können es nur vier Stimmen sein. Die Kunst der Fuge und der Polyphonie mit vier Musikern – das macht den Leipzigern so schnell keiner nach. Das Ensemble spielte mit einer gläsernen Präzision, die man drehen und wenden kann – stets das gleiche Funkeln!
Makellose Ansätze, hüpfendes Staccato und zauberhaftes Legato, dazu Glissandi zum Niederknien. Barocke Gemächlichkeit, die trotzdem nirgendwo breiig zäh ist und jazzige gute Laune, die Straßenlärm imaginiert, als säße man auf der Avenue des Champs-Élysées.
Für den reichlich gespendeten Beifall hatte das Publikum am Ende genügend gute Gründe. Die Mauern von Jericho stünden also noch, hätten die Posaunen sich damals auf diese eine Seite ihrer Klangvielfalt besonnen und sie intoniert. Aber damals war die Zielorientierung eben leider eine andere als die der guten Unterhaltung.
Barbara Kaiser – 29. August 2021