Familienaufstellung
teilen
Kammermusik in der Winterkonzertreihe von Hinrich Alpers
Zuerst sei hier über das Ende des Konzertes geredet, wenngleich ohne Hoffnung, man könne mit Worten beschreiben, wie sich Applaus anfühlt: Nach dem Klavierabend im Oktober standen nun in der Winterkonzertreihe zwei Quartette auf dem Programm. Dafür hatte sich der Pianist Hinrich Alpers bei der Familie die Unterstützung gesichert: Seine Frau Sabine Frick spielte das Violincello, seine beiden Schwägerinnen Cordula Kocian und Carolin Frick, Violine beziehungsweise Viola. Auf dem Programm standen zwei Klavierquartette, beide in g-moll. Das von Wolfgang Amadeus Mozart (1756 bis 1791) KV 478 und von Johannes Brahms (1833 bis 1897) op. 25. Salzburger Tändelei gegen ungarische Schwermut sozusagen, Wiener Klassik gegen Romantik.
Vor fünf Jahren erklangen die Werke schon einmal (im Vereine mit einem Quartett von Robert Schumann) bei der Internationalen Sommerakademie und waren ein Triumph, der aus mitreißender Emotionalität, musikalischer Perfektion und kompatiblem Zusammenspiel. Jedoch auch in der kühlen St.-Marien-Kirche am Vorabend des 1. Advent zeigte sich das Publikum begeistert und erfüllt von dem Erlebnis.
Natürlich geht kein Weg vorbei an Goethes Anmerkung zum Quartett. Obwohl der Geheime Rat kein Instrument spielte und nicht so bewandert auf diesem Gebiet war, eher für die schöne Pianistin schwärmte. Denn er schrieb über die Begegnung mit Maria Szymanowska in Marienbad: „Ihre Bekanntschaft und ihr wundervolles Talent haben mich zuerst mir selbst wiedergegeben.“ Später wird die polnische Künstlerin in Weimar nur für den Dichter spielen.
Goethe jedenfalls war der Meinung, dass in einem musikalischen Quartett sich „vier vernünftige Leute miteinander unterhalten.“ Dagegen setzen kann man die Ansicht der Konzertagentin Sonia Simmenauer, die in einem Buch über Quartette schrieb, die vier Musiker seien „vier Extremisten am Rande eines Nervenzusammenbruchs, die sich gerade noch einig werden.“ Vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Die vernünftige Unterhaltung ist dem Auftritt v
orbehalten – hinter den Kulissen, bei Proben, mag es anders zugehen. Wobei ein Musiker immer ein bisschen Extremist sein darf.
Die Konzertstunde war ein wunderbares Miteinander, in dem nur hin und wieder die Geige ihre Rolle und Verantwortung für das Ganze für prominentere Lautstärke nutzte. Aber eigentlich bekam man den Eindruck, dass Hinrich Alpers vom Flügel aus alles zusammenhielt. Vertrauensvolle Blicke gingen zwischen den einzelnen Musikern hin und her, sie gewährleisteten ein Zusammenspiel, bei dem auch der letzte Piano-Ton synchron stimmte.
Die Emotionalität des Spiels entwickelte einen Sog, der die Spannung und Aufmerksamkeit bei den Zuhörern hielt. Mozarts persönlichste Tonart, seine wohl energischsten und trotzigsten Sätze, ohne jegliche Resignation oder Pathosaufblähung. Atmosphärisch und präzise in einer imponierenden und geradezu organischen Einheit.
Romantisch, in sinfonischer Anmutung, die trotzdem nie überhitzt war oder besinnungslos daher kam, auch wenn es laut und fröhlich wurde, danach der Brahms mit Verführungspotenzial. Mit seinen auf die Spitze getriebenen Motivvariationen und einer extremen Energie in der Detailarbeit. Mit einem Andante, einem der majestätischsten wohl, vor dem großen Ausbruch des „Rondo alla Zingarese“. Einem Csárdás, bei dem dann die Profis von der Leine waren.
Solch Musik besitzt natürlich eine Publikumswirksamkeit par excellence! Dennoch muss man bedenken, dass die vier, obgleich eine Familie, keine feste Formation sind, sich nur, Dank Corona, für dieses Konzert fanden. Man darf es Zuhörerglück nennen, was diese Instrumentalisten zu bieten in der Lage sind, wie ihnen ihre makellose technische Perfektion die überragende Ausdrucksintensität ermöglicht, mit der sie, selber hingebungsvoll, staunen machen.
Es war eine Kammermusikstunde, in der der Zuhörer, obwohl der doch lange zu wissen glaubte, aufmerkte. Was an Frische, Elastizität und Überwältigung durch das Kirchenschiff wogte, muss erfreuliche Begegnung genannt werden. Hier leuchtete der Charme aus der Musik wie funkelnde Augen. Die Solisten boten im Ensemble eine leichtfüßige Spielweise, immer demütig gegenüber den Noten, ohne Allüren sowieso.
Barbara Kaiser – 28. November 2021