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Feuilleton

GESTÖRTES IDYLL

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„Guldenberg“ – ein neuer Roman von Christoph Hein

Eigentlich ist es, denkt man in literarischen Gattungen, eher ein Drama als ein Roman. Ein Drama im doppelten Sinne sogar. Weil der Text weitgehend aus Dialogen besteht, und weil der Inhalt eine Tragödie ist. Christoph Hein hat ein neues Buch geschrieben. „Guldenberg“, so der Titel, ist quasi die Fortsetzung von „Landnahme“ aus dem Jahr 2004. Spielte „Landnahme“ im fiktiven sächsischen Städtchen Guldenberg, beleuchtete die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Jahrtausendwende, so ist „Guldenberg“ Programm. Sind die 284 Seiten, auf denen das Leben in diesem Ort, der sich inzwischen mit dem „Bad“ vorm Namen schmückt, ein Sinnbild für deutsche Zustände. Und die sind, zumal im Sächsischen, ganz oft nicht zum Lachen.
Denn die Meinung der Einwohnerinnen und Einwohner beschreibt sich wie folgt: „Wir haben ein schönes Städtchen, man kann hier gut leben, und das sollte so bleiben. Ruhig, vertraut und gemütlich.“ Da hatten sie dem Bürgermeister aber schon einen Ziegelstein durchs Fenster geschmissen, weil sich der Mann dafür einsetzte, dass zwölf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan in der Stadt Schutz fänden. Die „Gemütlichkeit“ ist ab dem Zeitpunkt, als Adil, Hakim, Karim und die anderen aus dem Bus steigen sowieso dahin. Und als eine 16-Jährige, die ungewollt schwanger wurde, auch noch von Vergewaltigung faselt, steht es fest: „Das sind keine Kinder, sondern geile Böcke, die scharf auf unsere Frauen sind… Das wäre alles nicht passiert, wenn diese Kerle geblieben wären, wo sie hergekommen sind und wo sie hingehören.“ – Und dann fliegt auch der erste Molotow-Cocktail in die Unterkunft der Migranten…
Im Roman „Landnahme“, auf den übrigens Bezug genommen wird, wenn der Bürgermeister darauf hinweist, dass einige Guldenberger Bürger vor mehr als 70 Jahren genauso als Fremde in die Stadt kamen, schafft es ein Flüchtlingsjunge aus Schlesien. Er beißt sich hartnäckig durch und kommt sogar zu einem gewissen Reichtum, der ihm natürlich geneidet wird; dass er die Stadt am Ende trotzdem verlässt, hat seine Gründe schon damals darin, dass er immer der Flüchtling blieb. Es hat sich also nichts geändert in Guldenberg. Auch im Jahr 2020 tragen die Bürger die fehlende Empathie, das Desinteresse am anderen, die Furcht vorm vermeintlichen „Kulturaustausch“ als Monstranz vor sich her. Man betreibt lieber (mentale) Inzucht. Diese kurz denkende Ignoranz ist das Merkmal der Stadt, obgleich nicht aller seiner Einwohnerinnen und Einwohner– die sind Lichtblick. Christoph Hein handelt das Stück deutsche Gegenwart in kurzen Sätzen und wie gesagt meist in Dialogen ab. Manchmal mit Sarkasmus, mit Bitterkeit auch, weil er seine Landsleute vielleicht selber nicht begreift. „Wir können uns nicht um das Elend der ganzen Welt kümmern“, ist da unmenschliche wie herrschende Doktrin. Kein Gedanke daran, dass das Elend der Welt vielleicht auch mit uns, unserem Lebensstil und Konsumverhalten, unserer permanenten Einmischung in fremde Politik, im Zusammenhang steht.
Beschreiben was ist, diesem Grundsatz bleibt Christoph Hein treu. Und dass trotz aller Feiertags-Beschwörungen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit fröhliche Urständ feiern in diesem Deutschland, seit Jahrzehnten schon, das schreibt der Autor auf. Und er weist auf die Wurzeln, die wie das schlimmste Unkraut nie auszureißen sind. Treffsicher beobachtet, aber auch ohne Gnade seziert, geht Hein mit seinen Landsleuten ins Gericht. Und er macht auch klar, wie sehr die Guldenberger einem Irrtum aufsitzen, wenn sie es in ihrem Städtchen „gemütlich“ finden. Denn es ist wie überall in dieser Gesellschaft: Die Begüterten machen ihre Schnäppchen, während die anderen gegen die Falschen aufmarschieren. – Habe ich noch Erwähnenswertes gelesen? Vielleicht den Erstling von Katie M. Flynn, „Companions“. Normalerweise mag ich keine Fantasy- und Science-Fiction-Romane, aber man sitzt ja hin und wieder einer guten Rezension auf. Die titelgebenden Geschöpfe sind in Robotern geronnenes Bewusstsein (und Seele?) der Toten. Man kann sie von der Firma, die das Verfahren erfand, mieten. Es gibt die „Begleiter“ in Basis- und Luxusversionen, letztere sind kaum vom lebenden Menschen zu unterscheiden. Dass die Menschheit in dieser Zeit nach einer Pandemie mit jahrelanger Quarantäne in hohen Wohntürmen lebt – wenn man das Leben nennen kann – und strikt überwacht wird, ist selbstverständlich. Das Buch verfolgt zwischen Kalifornien und Sibirien mehrere Companions, führt ihre Schicksale zusammen und stellt Beziehungen her. Die eigentliche Frage aber ist. Was bleibt von unserem Leben? Was ist Leben? Ein hochgeladenes Gedächtnis? Bewusstsein und Erinnerung? Die Fähigkeit zu lernen? Wer diese Art Literatur mag, wird das Buch mögen. – Und dann waren da noch auf meinem Nachttisch die drei hochgelobten Krimis der Schwedin Lina Bengtsdotter: „Löwenzahnkind“, „Hagebuttenblut“ und „Mohnblumentod“ – die Titel haben nichts mit dem Inhalt zu tun. Und ich sage dazu mal: Man kann es lesen. Die Kommissarin Charlie Lager mit ihrem unübersichtlichen Männerverschleiß und Alkoholkonsum löst alle Fälle.

[Barbara Kaiser]

 

 

 

 

 

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