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Monumental und – demütig

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Eine musikalische Bitte um Frieden im St.-Marien-Weihnachtskonzert

Normalerweise heißt es am dritten Advent in St. Marien „Jauchzet, frohlocket“. In diesem Jahr war da zwar vorm Beginn der Konzerte (Samstag und Sonntag) ein aufgeregt-freudiges Trompeten und Fiedeln – den Auftakt zu diesem Weihnachtskonzert machte aber „Dona Nobis Pacem“. Gib uns Frieden. Es gibt kein treffenderes Flehen in diesen Tagen, weshalb Kantor Erik Matz der Aufführung als die übergreifende Überschrift auch „Eine musikalische Bitte um Frieden“ beigab.

Erik Matz leitet die Marien-Kantorei

Auf dem Programm standen diese programmatische Zeile, vertont von Ralph Vaugham Williams, und vom selben Komponisten die „Fantasia on Christmas Carols“. Dazu gesellte  sich „Magnificat“ von John Rutter. Man hatte also den großen Johann Sebastian einmal in der Schublade gelassen und kam Britisch daher; in der Ausstattung exorbitant, mit einem Anliegen, das aufs Beste eine Einmischung in Gesellschaftspolitik ist. Dieses Konzert war eine klare Ansage, aber trotzdem weihnachtlich geprägt. Es war ein großes Vorhaben, das man am Ende als gelungen bezeichnen kann.

Erik Matz stand am  Pult und hatte die Lüneburger Symphoniker in großer  Besetzung zwischen Pauken, Blech und Harfe zu beherrschen. Zudem die wieder sehr umfangreiche St.-Marien-Kantorei und die beiden wunderbaren wie überzeugenden Solisten Julia Henning (Sopran) und Konstantin Heintel (Bassbariton). Letzter war eingesprungen für den erkrankten Kollegen Stefan Adam.

Bassbariton Konstantin Heintel

Ralph Vaugham Williams (1872 bis 1958) war Schüler von Maurice Ravel und schrieb das „Dona Nobis Pacem“ in den Jahren 1936/37. Der Erste Weltkrieg ist gerade 18 Jahre her, der später Zweite genannte zog schon dunkel am Horizont auf: Die Legion Condor der deutschen Faschisten probte bereits, legte die baskische Stadt Guernica in Schutt und Asche; sie verhalfen zudem dem putschenden General Franco gegen die spanische Republik zum Siege. Das muss man aber nicht mitdenken – ein Blick in die Abendnachrichten reichte auch aus.

Das sechssätzige Werk ist eine Melange aus eindringlicher Bitte, Kriegsgeschrei, Trauer und einer nimmer vergehenden Hoffnung… Die Aufführung war ein Musizieren (gerade bei diesem Thema) aus Verantwortung, niemals als Selbstdarstellung. Der Chor sang mit Intonationsreichtum, überwältigender Klangfülle und Homogenität. Mit der Sopranistin Julia Henning hatte Matz einen Glücksgriff getan, ihre Stimme schwebte förmlich über allem. Aber auch ihr Baritonkollege Heintel  agierte mit Energie und Einsatzfreude. Stimmlich flexibel, bestechend deutlich beide.

Sopranistin Julia Henning

Sopranistin Julia Henning

 

Als der Chor im Schlusssatz das „Fürchte dich nicht, du geliebter Mann! Friede sei mit dir. Sei stark und hab Vertrauen!“ vielstimmig ausbreitete, klang die lichte Zukunft, der Frieden, nahezu triumphal. Mit Schellen und Pauken und Trompeten, die Kantorei in Forte-Höchstform!  Aufrüttelnd, markerschütternd. Bravo!

Danach wurde es mit „Fantasia on Christmas Carols“ fröhlicher. Das 1912 aufgeführte Werk erzählt die Geschichte der Menschheit zwischen dem Paradies des Anfangs und dem Leid der Erdentage nach dem Sündenfall. Bis sie die frohe Botschaft von der Geburt Christus` ereilt. Was für eine schöne Company zwischen Chor und Solisten, mal fugato, mal maestoso: „Gott segne unser Generation, die sowohl nah als auch fern leben. Ehre sei Gott und Friede den Menschen, jetzt und immer. Amen.“ 

Hier war die Musik Kraftquell und Reinigungsbad der Seele (wie es Bach auch verstand), war sie eine Mischung aus Melancholie, heiterer Gelassenheit, Weisheit. Erik Matz hielt alles gut beisammen, auch wenn das Orchester manchmal den Ausbruch suchte und sehr prominent daher kam. Es waren aber auch Klangballungen, mit denen die Vokalisten zu interagieren hatten, deshalb verbietet sich jede Beckmesserei. 

Den Schlusspunkt setzte „Magnificat“ von John Rutter (* 1945). Magnificat – einer von drei Gesängen im Neuen Testament, erzählend die Freude und Erwartung Marias. Das ganze besitzt einen festlichen  Geist, schließlich steht Großes bevor. Das Stück ist eine Balance zwischen Extrovertiertheit und intimer Sinnlichkeit, die Orchestrierung ist überaus farbenreich. Inspiriert haben den Komponisten zusätzlich die fröhlichen lateinamerikanischen Marienfeste.

Alle Sänger hatten hier nach dem aufregenden Beginn die Gelegenheit für die leisen Töne, des innigen Ausdrucks, der lyrischen Emphase. Das instrumentale Finale war wieder eins mit Pauken und wunderbarem Blech – im Wortsinne ein „Gloria!“.

Was für eine Aufführung! Großer Jubel am Ende. Die drei höchst anspruchsvollen Werke waren mit äußerster Konzentration und Ausstrahlung realisiert worden. Man stand davor und konnte doch nur knien – vor dieser musikalischen Erschütterung. Vor dieser Bitte um Frieden.

Erik Matz  hatte sich auch künstlerisch nicht verhoben mit dem Repertoire, das die dringendste Botschaft der Zeit transportierte mit unbekannten, ungewöhnlichen Noten und das, wie es die Losung des Advents 2022 sagt, ein „großes Licht“ war für alle Zuhörer („Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht.“ Jesaja 9,1). Man ging befriedet nach Hause, wissend, dass die Welt nicht so ist und Dank der Musik nur für einen Augenblick so schien.

Barbara Kaiser – 12. Dezember 2022

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