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Feuilleton

Donnernder Stummfilm

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Stephan Graf von Bothmer improvisierte zu „Nosferatu“ aus dem Jahr 1921

Es ist ja keine ganz neue Idee, den Stummfilm nicht tonlos bleiben zu lassen. Schon zu dessen Aufführungen vor 100 Jahren gab es einen Kinoklavierspieler, der die Zuschauer zusätzlich emotional-musikalisch unterhielt. Die Gruppe „Pet Shop Boys“ machten sich vor circa 15 Jahren daran, mit den Dresdner Sinfonikern einem Stummfilm aus längst vergangenen Tagen neues Leben einzuhauchen, ihn mit heutigen Noten aus dem Vergessen zu hieven. Während sich die Popgruppe und das Sinfonieorchester Sergej Eisensteins Meisterwerk „Panzerkreuzer Potemkin“ (1925) widmeten, bereitete sich der hiesige Kantor Erik Matz im Jahr 2005 mit seinen musikalischen Ideen an der Orgel von St. Marien auf „Ben Hur“ (1926) vor. Es war ein Ereignis.

Nun gastierte im Ratssaal Stephan Graf von Bothmer, der seit zehn Jahren die Idee mit dem Stummfilm plus Musik praktiziert, weil es ihn fasziniert. In diesem Jahr feierte er das runde Jahrhundert von „Nosferatu“. Der Klassiker von Friedrich Wilhelm Murnau, der das Grauen in Szene setzt und dessen Hauptakteur obendrein Max Schreck (!) hieß, der atemberaubende, immer noch moderne Bilder lieferte.

Von Bothmer ist von seinem Gegenstand so angetan, dass er sich fast 45 Minuten bei der Einleitung aufhielt, was wohl zu lang ist. Er plauderte – durchaus kundig und charmant – über den Stummfilm und Murnaus Neuerungen, über Kinowerbung, Trailer und das Eismädchen im Lichtspielhaus. Selbigem widmete er einen Chopin, die Ballade Nr. 4 f-moll op. 52, die auch fast zwölf Minuten dauert. Zudem ließ er die Zuhörer teilhaben an seiner Auffassung, dass „Nosferatu“ auch ein „Heimkehrer-Film“ sei – drei Jahre nach dem Ersten Weltkrieg könnte man das unterstellen – und ein bisschen Freud-Psychologie war in seiner sehr persönlichen Auslegung auch dabei. Man musste sie nicht teilen.

Dann aber ging es endlich los. „Ich geh nicht mit festen Ideen auf die Bühne, drum weiß ich auch, wenn der Projektor angeht, noch nicht den ersten Ton“, erklärte die Pianist in einem Interview (nachzulesen im Netz). Stephan von Bothmer gründete, beeinflusst von Gruppen wie Pink Floyd, eine eigene Rock-Band. Nach Abitur und Heeresmusikkorps studierte er an der Jazz- und Rockschule in Freiburg, danach an der Berliner Universität der Künste. Die schloss er mit einem Einser-Examen ab. „Ich saß immer zwischen allen Stühlen, insbesondere was populäre Musik und Klassik angeht, und ich wusste nie, wo ich hingehöre. Und alle haben immer gesagt ‚Du gehörst ja eigentlich gar nicht zu uns!’“

Dieses „zwischen den Stühlen“ merkte man dem Konzert an, in dem sich der 50-Jährige seinem Credo verpflichtete: „Alles, was ich weiß, weiß ich aus der Musik. Alles, was ich über Menschen weiß, weiß ich aus der Musik. Und ich seh Musik einfach überall.“

Ein bisschen Kompositionslehre hätte der Darbietung allerdings gut getan. Warum beispielsweise erfindet der Künstler keine musikalischen Leitmotive für seine Hauptfiguren? Das wäre von Richard Wagner geklaut, aber was soll`s – viele große Komponisten zitierten, auch augenzwinkernd, ihre Kollegen. Vielleicht hätten sich die Zuhörer über das eine oder andere Zitat mit Wiedererkennungswert gefreut?

Die zwei Stunden mündeten nicht immer in ein virtuoses Vergnügen oder ein Erlebnis der diffizilen Klangsprache. Keine düstere Sequenz für den Fiesling, keine anrührend leisen Töne für tragische Momente. Meist war es ein zu viel an Forte und Presto oder beides. So hatte der Pianist nichts mehr zuzusetzen an Lautstärke und Dramatik, als der Bösewicht endlich auftauchte. Denn das Getöse gab es schon vorher. Grundsätzlich fehlte dem Vortrag dadurch die Spannung. Leider. Stephan von Bothmer wechselte die Tonarten nicht hörbar, bei ihm gab es kaum ein Moll. Warum tauchte er nicht tief in die Kiste der Musikgeschichte? Er müsste doch hierbei nicht plakativ nachahmen. So waren es akustisch recht strapaziöse und auch einförmige zwei Stunden. Was schade bleibt.

Barbara Kaiser – 27. November 2021

 

 

 

 

 

 

 

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