Mit klarem Blick
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Künstler*Innen der Region sind zu Gast im Kunstverein und schauen auf ihre Stadt
Was lange währt, sagt man, würde gut. Für diese Ausstellung war eine überdimensionierte Zeit des Währens und der Vorfreude nötig, denn sie sollte bereits vor einem Jahr, auch anlässlich des 750. Stadtjubiläums, eröffnet werden. Jetzt jedoch ist es soweit: Künstlerinnen und Künstler der Region sind beim Kunstverein zu Gast. Diese Symbiose hat schöne Tradition.
Was die 14 Kunstschaffenden unter dem Titel „Blick auf Uelzen“ summieren, könnte unterschiedlicher nicht sein. Die gewählten Techniken und Materialien, der Bezug zum Thema, der mal ironisch, mal assoziativ ist, zart oder handfest, lyrisch oder historisch, die Formate – die Ausstellung ist eine Entdeckungsreise.
Vor ein paar Jahren gab es einmal eine BBK-Ausstellung zum Thema „Provinz“, was auch Uelzen und den Landkreis meinte. Damals waren bitterböse Bilder dabei. Und auch dieses Mal kommen die Werke durchaus kritisch daher. Obgleich die Kunst ein Medium zur Reflexion ist und eher kein Mittel zur Weltverbesserung. Kunst müsse stolpern lassen, sagte Vernissagerednerin Kathrin Marie Arlt, weshalb die Entscheider über die Belange in und für diese Stadt gut daran täten, sich Zeit für die Arbeiten zu nehmen. Sie erführen, wo es hakt.
Den einen der beiden Räume dominieren die zwei großen Porträts von Simona Staehr: „Apollonia“, jüngere Schwester von Herzog Ernst, dem Bekenner und „Aetatis“ (Jetztzeit), eine moderne Frau. Die sind wahrscheinlich das schönste Gesicht von Uelzen: Gleichmäßige Züge, umrahmt von bunten Farbkreisen. Zwei selbstbewusste Frauen, die eine zeitlos, obwohl 500 Jahre alt, die andere genauso jung, aber vielleicht von nebenan. In Uelzen heißt neuerdings eine Schule nach Apollonia – nehmen sie den Namen als Verpflichtung dort? – An der Wand gegenüber drei ebenso freundliche Arbeiten von Annette Grund: „Willkommen und Abschied“ heißen sie. Obwohl, sieht man genauer hin, ist die See, auf der das goldene (?) Schiff treibt, ziemlich stürmisch. Und ist es nun eine gute Idee, in Uelzen anzukommen oder die bessere, es lieber zu verlassen? Bei Claudia Krieghoff-Fratz ist das Schiff inzwischen schon auf Grund gelaufen, deklariert sich aber als „Hochseeflotte“!
An anderer Stelle wird es schon auch mal sarkastisch oder noch schlimmer: spöttisch. Da fragt Renate Schmidt mit sechs Bildern „Quo vadis, Ulyssea?“ Genau das treibt einen selbst auch manchmal um, betrachtet man die scheinbar planlosen, langjährigen Bauarbeiten oder die Umweltsünden, für die man als Ursache die Dollarzeichen in den Augen der Verantwortlichen ausmachen kann. Wohin gehst du, Uelzen? Bei Renate Schmidt sind alle abgebildeten Objekte aus dem Gleichgewicht, im Sturzflug, im Sinken sozusagen. Das neue und alte Rathaus, das Amtsgerichtsgebäude, diese Lions-Bank am Ratsteich, mit der alles anfing, wie die Künstlerin sagt. Nur der einsame Weg an einem Waldesrand scheint im Lot zu sein. Was einen aber angesichts der maßlosen Baumfällarbeiten und der Zerstörung von Wegen und Unterholz im Stadtwald durch schwere Technik auch wieder zweifeln lässt. Wohin also gehst du, Uelzen? Wirst du zur ungepflegten Schmuddelstadt oder zu einem liebenswerten Ort inmitten von schöner Landschaft? Das bleibt die Frage, und die Antwort ist nicht eindeutig zu geben.
Grau und bunt gleichermaßen sind die Bilder dieser Ausstellung. Zwischen Historie, Zuckerrübe und Goldenem Schiff. Die Arbeiten bleiben nicht arglos gegenüber gegenwärtiger und zukünftiger Entwicklung. Ist doch das Triptychon von Georg Lipinsky „Uelzen – Wasser/Klima/Heide“ beispielsweise im Bild „Wasser“, das als drohender Tsunami à la Hokusei daherkommt, eher Warnung. (Der Oldenstädter See trocknet langsam aus und keiner tut was!) Wilhelm Tarnow nimmt sich des Zuckers an und liefert mit seinem mehrteiligen „Alles auf Zucker“ witzige dreidimensionale Collagen im Kasten, die er mit Würfelzuckerstückchen krönt. Zwischen Kubismus und Dampfschiff – das brachte aber wohl eher den Rohrzucker.
Rena Meyer erinnert mit ihren Bleistiftzeichnungen an ihren früheren Schulweg, auf dem sie immer an der wunderbaren Skulptur „Sitzende“ von Helga Brugger vorbei kam. So gehen Frauendenkmale, möchte man den Zeitgenossen zurufen! Und überhaupt gehörte diese Bronze an einen renommierteren Ort in der Stadt und nicht in die verwildernden Ilmenauwiesen in der Nähe des Lessing-Gymnasiums.
Das vermeintlich Ablesbare braucht den Schlüssel des Verständnisses – das funktioniert mit dieser Ausstellung richtig gut. Schaut der Betrachter doch in einen Spiegel, in ein Abbild seiner Stadt. Denn in Ausstellungs- und Theaterzeiten will man etwas anfangen mit sich, man will enthalten sein, vorkommen in Gehörtem und Gesehenem. Ob erschrocken, überwältigt, erfüllt oder bestätigt – egal. Beim Betrachten dieser 72 Arbeiten kommt man vor. Finden sich eigene Ansicht, erlebtes Gefühl, angestauter Ärger auch. Weshalb das Ganze sehenswert und empfohlen ist.
Die Historie thematisierende Collagen, das quirlige Hundertwasser-Mosaik, die Hommage für verehrte Künstlerkollegen, die in der Stadt wirkten in der Vergangenheit, aber manchmal das Grau der Hoffnungslosigkeit. Die Künstlerinnen und Künstler verbinden die Landschaft mit der Arbeit der Menschen, was nicht immer ein glückliches Ergebnis hat. Sie sind auf keinen Fall dummer oder falscher Lokalpatriotismus, sondern auch ein „Obacht!“, vielleicht Sorge um die Stadt, die durchaus angebracht ist.
„Städte bestehen aus Erfahrungen und Erinnerungen“, zitierte Kathrin Marie Alt den klugen Denker Roger Willemsen am Schluss ihrer Ausführungen. Uelzen hat in 750 Jahren einen ganzen Berg von beidem angehäuft – man müsste sie nur nutzen.
Zu sehen ist die Ausstellung, zu der es einen schönen Katalog gibt, bis 09. Januar 2022, freitags und samstags, 03./04., 17./18. Dezember und 07./08. Januar, 15 bis 18 Uhr, sowie sonntags, 05., 19. Dezember und 09. Januar, 11 bis 18 Uhr. An den Samstagen erklingen immer um 15 Uhr dreißigminütige Konzerte, ausgerichtet durch Lehrer, Schüler und Ehemalige der Musikschule Uelzen.
Barbara Kaiser – 28. November 2021