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Das Mittel gegen die Angst

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Jahrmarktheater Bostelwiebeck macht mit Musik resilient

Der Siegertitel ist ein Rock`n Roll. In E-Dur! Das ist eine der hellsten Farben in der Musik. Bach schrieb Klavierkonzerte in dieser Tonart, die „Morgenstimmung“ bei Peer Gynt von Edvard Grieg folgt diesen Noten, die als Vorzeichen vier Kreuze in der Partitur haben. „Herr Schneider“ aber rockte in E-Dur zur Gitarre; und er machte das so wunderbar, dass das Publikum am Schluss jubelte. Ja, auch darüber, dass die Premiere des neuen Jahrmarkttheater-Stücks endlich, mit einem Jahr Verspätung, stattfinden konnte. Aber genauso über einen gelungenen Abend, der mit Musik gegen Angst anspielte. Gegen jede Art von Angst.

„Unser Lied für Torfbostel“, so der Titel,  suggeriert eine Kollektivität, die es erst zu beweisen gilt. Denn wer identifizierte sich schon mit den Tralala-Liedchen, die unter „Unser Lied für…“ firmieren und im Eurovision Song Contest landen. Thomas Matschoß stellt bewusst derlei Bezüge her. Dass sein „Lied für Torfbostel“ jedoch ganz viel mit den Zuhörern zu tun hat, resilient, also widerstandsfähig machen soll, erwies sich im Laufe der 90 Theaterminuten. Auch weil eine gewisse Entschlossenheit, Kraft zu schöpfen nach langen Monaten der Einschränkungen, spürbar war.

So werden vorab im Publikum die Jurygruppen eingeteilt, die am Ende ihre 12 Punkte für die einzelnen Songs vergeben dürfen. Leicht war diese Aufgabe nicht, das muss hier festgestellt werden. Denn welchem Lied sollte man den Vorrang geben? „Internationale“ Prominenz war zu Gast im Theaterhaus Bostelwiebeck: „Lez Antilopez“ beispielsweise oder Alfred, der Angsthase aus dem Böhmerwald. Johnny, die Giraffe und „Eber & Heart“, die zwei wilden Waldschweine, die sich inzwischen lange in den Städten vergnügen und die Sau rauslassen.

Sollte man seine Gunst den lauten Tönen schenken oder den leisen? Den platten oder den nachdenklichen gewähren? Doch halt – platt war hier nichts. Schließlich war man in Bostelwiebeck, beim mit dem Deutschen Theaterpreis verwöhnten Jahrmarkttheater zu Gast,  nicht beim richtigen Wettbewerb zum Song Contest. Bei Matschoß ist das Theater kein Autist, weil es Geschichten erzählt und mit seinem Publikum spricht. Und manchmal nimmt es sein Recht wahr uns zu blamieren in der Ansicht, etwas sei so und nicht anders.

Das „Lied für Torfbostel“ ist intelligente und ambitionierte Vermessung eines Gefühls. Es ist immer eine Einladung zum Erleben, nicht nur zum Betrachten. Es jongliert auch durch die Halbtöne der Ironie, ist jedoch nie auf deutsche Art didaktisch – also anstrengend, sondern geht mit dem ihm eigenen Spieltrieb auf Expedition in die kleine und die große Welt; in die beschränkte dörfliche Provinz und die globale Weite. Der Revuevorhang glitzerte und flitterte. Anja Imig hatte sich mit ihren Ausstattungsideen einmal mehr selbst übertroffen. Bert Brüggemanns Video- und Fotosequenzen passten dramaturgisch perfekt. Und die beiden Darsteller, Thomas Matschoß und Maurice Schneider, wechselten in der Regie von Kristina Brons, die ihr Theater zirzensisch auflädt, in Windeseile die Kostüme und Instrumente zwischen Schaf Sabine und Hund Buffy, den wilden Säuen oder Ameisenkönigin und Eintagsfliege.

Man fährt lächelnd nach Hause nach diesem Theaterabend. Vielleicht mit dem Vorsatz, es wie „Herr Schneider“ zu machen: Musik als Droge zu nehmen und das Glas stets als halb voll zu betrachten. Das geht in jeder Tonart, muss nicht E-Dur sein. Aber vielleicht küren die Zuschauer der folgenden Aufführungen ein ganz anderes Lied zum Sieger? Gespielt wird „Unser Lied für Torfbostel“ an den Samstagen, 13., 20., 27. November, 4. und 11. Dezember 2021, 19.30 Uhr. Kartentelefon: 05807/979971. www.jahrmarkttheater.de

Barbara Kaiser – 30. Oktober 2021

 

 

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