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Allgemein Feuilleton

Melancholisches – Hinrich Alpers startete Winterkonzertreihe mit Johannes Brahms

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„Es ist Herbst, und das ist die richtige Zeit für Brahms“, begrüßte Hinrich Alpers seine zahlreichen Gäste in St. Marien zum ersten „Winterkonzert“, das eigentlich ein nachgeholtes aus dem Vorjahr war. Und in der Tat hatte der Pianist sich eine große Schippe Johannes Brahms (1833 bis 1897) aufs Pult gelegt. Es wurde also melancholisch. Die Reise ging durch das Schaffen des Komponisten. Beginnend mit der Sonate fis-moll op. 2, fortfahrend mit den Rhapsodien op. 79, endend mit den Fantasien op. 116. Die Opus-Zahlen verweisen auf ein ganzes Komponistenleben. Zudem war es ein Abend in Moll, denn bis auf zwei Intermezzi in E-Dur, die auch nicht der sonstigen Helligkeit dieser Tonart entsprachen, stand alles im Dreiklang der kleinen Terzen, dieser Halbton-Tonschritte.

 

Brahms war erst 20 Jahre alt, als er die Sonate fis-moll schrieb. Die erschien 1853 und war Clara Schumann gewidmet, die sich von diesen unerhörten, neuen Tönen begeistert zeigte. Der Heroe Beethoven war immerhin seit 26 Jahren tot und auf dem Gebiet der Sonate hatte sich nicht viel bewegt. Nun ist die Romantik allerdings viel Ich-bezogener als die Klassik; und so stehen die vier Sätze bei Brahms gedankenschwer und gefühlssatt vorm Ohr des Zuhörers. Sie weisen eine großzügige, fantasievolle Form auf, der langsame zweite Satz stammt aus einem altdeutschen Minnelied: „Mir ist leide,/ daß der Winter beide,/ Wald und auch die Heide,/ kahl gemacht.“ Wenn das nicht in die Jahreszeit und Gegend passte!

 

Hinrich Alpers` Spiel – und hier werden nun wieder Eulen nach Athen getragen – entsprach der Intention des Komponisten und machte die Zuhörer dennoch nicht schwermütig. Er schwelgte und rauschte, suchend, sich (ver)irrend auch, mutig in der Dissonanz manchmal. Am Ende kam das Werk jedoch zu einer Ruhe, die fast glücklich machte. Diese unadressierten Gefühle konnte jeder für sich (be)nutzen.

 

Die Rhapsodien op. 79 besitzen dagegen eine große, pathetische Sprache. Die in h-moll ist ein herbes Klangbild, die in g-moll die vielleicht wirkungssicherste Komposition von Brahms. Schwungvoll aufrauschend, mit jagenden Akzenten und expressivem Charakter macht diese Rhapsodie ihrem Namen alle Ehre, wo musikalische Themen lose miteinander verbunden sind, in flüchtigen, unzusammenhängenden musikalischen Gedanken stehen – und doch beeindrucken. Hier darf man schon eine kleine Verbeugung vor Franz Liszt vermuten, auch wenn die Komponisten angeblich nichts miteinander anfangen konnten. Brahms war inzwischen 46 Jahre alt, Liszt zum Zeitpunkt des Erscheinens der Rhapsodien (1879) schon 68.

Im Jahr 1892 erschienen dann die „Fantasien“, drei „Capriccios“ und vier „Intermezzi“, mit denen der Komponist offenbar seine Schubladen aufräumte, denn es sind die letzten Arbeiten für Klavier. Er kehrte damit zu den Vorlieben seiner Jugend zurück: Den Improvisationen an diesem Instrument. Wobei Johannes Brahms inzwischen jedoch nicht mehr renommiert und das Publikum staunen macht – im „Alterswerk“ (er ist 59!) teilt der einsame Spieler seine Gedanken den Tasten mit; es sind wohl Selbstporträts.

 

Alpers lässt sich die Zeit, die nötig ist. Das Ritardando an der richtigen Stelle, die Ekstase, das Aufbegehren, dagegen setzend. Er spielte, als erfände auch er gerade in diesem Augenblick diese Noten. Imaginierend, meditierend. Und obgleich ein „Capriccio“ zum Beispiel durch Tschaikowskys „Capriccio Italien“ anders, (lebens)fröhlicher, schwungvoller besetzt ist – es ist eben Johannes Brahms, der kühle Hanseat aus Hamburg.

 

Am Ende der Konzertreise, die trotz der bestimmenden Tonart keineswegs eine in Moll war, hatten die Zuhörer viele gute Gründe für einen langen, dankbaren Applaus.

Das nächste Konzert erklingt am Samstag, 27. November 2021, 17 Uhr. Auf dem Programm stehen Klavierquartette von Brahms und Mozart. Hinrich Alpers agiert gemeinsam mit Cordula Kocian (Geige), Carolin Frick (Bratsche) und Sabine Frick (Cello).

 

Barbara Kaiser – 01. November 2021