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Aktuelles Feuilleton

Ein großer Prediger und freundlicher Mensch

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Zum Tod von Hans-Wilhelm Hube, dem Uelzener Propst i.R.

Es war schon eine ungewöhnliche Freundschaft, die Hannes Hube und mich verband. Oder war es das gar nicht? War es eher Respekt? Dem man ansonsten ja immer weniger begegnet in dieser Gesellschaft, treffen zwei aufeinander, die die Welt unterschiedlich betrachten? Denn unterschiedlicher als der Propst und ich konnte diese Welt wohl nicht angeschaut werden: Es ist einer der vielen Imponderabilien des Lebens geschuldet, dass Hans-Wilhelm Hube und ich uns vor über 15 Jahren kennenlernten. Der Kirchenmann aus dem Westen und die konfessionslose Germanistin aus dem Osten prallten in der Lüneburger Heide aufeinander, wohin sie verschlagen wurden durch ihre Lebenswege. Doch während Hube zielstrebig an seiner beruflichen Karriere bis zum Propstamt in Uelzen gearbeitet hatte, waren meine Lebenslinien der Geradlinigkeit beraubt worden, nur privat gab es einen Neuanfang. Normalerweise hätten wir uns nicht viel zu sagen gehabt. Damals. Der Pastor und die Atheistin. Dass es anders war, verdankt sich Hannes Hube. Am 8. Oktober 2021 ist dieser wunderbare Theologe im Alter von 86 Jahren gestorben.

Als Hube 2015 nach Rinteln zog, kam er eines Tages per Mail mit der Idee, er wolle mir jetzt jeden Sonntag eine „Sonntagsmail“ schreiben. Ich hatte dann die Woche über Zeit für eine Antwort. Niemals dachte ich, dass er es durchhalten würde! Erst kürzlich sprachen wir davon, dass diese Art des Austausches schon das siebte Jahr andauere. Oft schickte er im Anhang eine Predigt mit, die er gehalten hatte oder noch halten wollte, denn der Propst i.R. war einer in Unruhe, er stand noch 20 Mal im Jahr auf der Kanzel. Er freute sich über eine Meinung dazu, so wie er mir seine Meinung über meine Text nicht vorenthielt. Jetzt ist dieser Faden gerissen.

„Ich komme gerade aus einem guten Gottesdienst und heute Nachmittag wird der Geburtstag unseres Sohnes nachgefeiert. Du siehst: Alles ist gut. Heute Abend sitzen wir gemeinsam vor dem Fernseher…“ Das schrieb Hannes Hube in seiner letzten Mail. Am Tag der Bundestagswahl – deshalb am Abend die Aufmerksamkeit fürs Fernsehprogramm. Als er allerdings die Taktiererei der Grünen mitansehen musste, war er doch ärgerlich. Das tat er in seiner letzten WhatsApp-Nachricht an mich durchaus ungehalten kund.

Hannes Hube war heiter und bekennender HSV-Fan. Er klagte nie, auch wenn es das Leben ihm manchmal auch schwer machte. Und er interessierte sich für viele Dinge. Sein Lächeln war warm und charmant. Manchmal dachte ich, es sei für einen Kirchenmann zu charmant! Ich habe von ihm gelernt, dass entgegen allen anders lautenden Vorstellungen  nirgendwo stünde, dass Engel Flügel hätten. Wer aber aus dem Nichts auftaucht, seine Mission erfüllt und dann wieder verschwindet, muss sich ja irgendwie fortbewegen. Ist es da nicht folgerichtig, dass die Menschen ihnen Schwingen nachsagten? Keine Flügel also – Hans-Wilhelm Hube musste es wissen. Er kannte seine Schrift, und er war sein Leben lang auch so etwas wie ein Engel: Ein Vermittler zwischen Mensch und Gott.

Ein Theologe, Amtsbruder Professor Heinrich Fink, sagte einmal, dass die Gabe des miteinander reden Könnens „ein großes Geschenk Gottes als Chance für Gewaltvermeidung zwischen Staaten, aber auch für Menschen im Alltag“ sei. Das schließt die nicht alltägliche Gabe des zuhören Könnens ein. Hube konnte zuhören, versuchte nie, zu missionieren, suchte auf Fragen Antworten. Gab sich dabei selbst nicht als der Unanfechtbare.

Geboren wurde er im Jahr 1935 in sechster Generation in Bremervörde. „Ich singe ein Loblied auf meine Mutter“, sagte Hube immer, denn die hatte ihn und drei Geschwister (Jahrgänge 1936, 1939 und 1944) durch gebracht. Der Vater, Bäckermeister, Obermeister, Kreishandwerksmeister, war seit 1939 im Krieg.

Sein Leben sei „eigentlich von ungeheurer Harmlosigkeit geprägt“, kokettierte Hube einmal im Gespräch. Das stimmte schon deshalb nicht, weil er der Erste in der Familie war, der eine höhere Schulbildung genoss. Die Familie hätte damit nicht so richtig umzugehen gewusst – was wird man mit Abitur? Zum Beispiel Studienrat für Deutsch, Geschichte und Religion. Da Hube aber wahrscheinlich schon immer alles gleich richtig machen wollte, erschien ihm die Vorstellung, nur eine Stunde Religion in einer Klasse zu halten, als wenig befriedigend. Mit Konsequenz wurde also Theologie studiert!

Von 1955 bis 1960 in Bethel, Tübingen, Heidelberg, Hamburg und Göttingen. Er absolvierte sein Vikariat in Hannover und besuchte 1961/63 das Predigerseminar in Loccum. Er musste damals noch solche Selbstverpflichtungen unterschreiben wie „…gedenke ich, in dieser Zeit nicht zu ehelichen.“ Obwohl er seine spätere Frau Felicitas schon kannte. Sie hatten sich in der Kantorei in Göttingen kennen gelernt, dort gemeinsam das jubelnde „Jauchzet, frohlocket“ gesungen. Fielen den jungen Leuten die ein wenig weltfremde Regelungen in Loccum da besonders schwer? 1963 aber wurde geheiratet, die beiden Kinder, Sebastian und Agnes, wurden 1965 und 1968 geboren.

Bevor Hans-Wilhelm Hube 1971 in Bevensen Pastor wurde, war er Mitarbeiter in der Kanzlei des Landesbischofs Dr. Hanns Lilje. Im Jahr 1977 wurde er Superintendent in Rinteln, 1993 kam er als Propst nach Uelzen zurück.

An dieser Stelle denke ich – stets lächelnd – darüber nach, wie man Propst eigentlich richtig schreibt; im Sächsischen würde man fragen mit hartem oder weichem „p“? Hube war sich sicher, dass sowohl das eine als auch das andere richtig ist. Mit „b“ kommt es von „probatus“, der sich bewährt hat; mit „p“ von „praepositus“, der Vorgesetzte. Ist Hans-Wilhelm Hube eher einer mit „b“ oder „p“?  Er sagte, er habe sich immer bemüht, die drei „P“ – Priester, Prediger, Partner – im Ausgleich zu halten. Vordergründig der „praepositus“ war er sowieso nie, das sei hier einfach behauptet, auch wenn er Loyalität nicht für die höchste Form von Kritik hielt, und er mehr Fragen als Ausrufezeichen hatte.

Als Hans-Wilhelm Hube in den Ruhestand ging, hatte er Angst vor dem sprichwörtlichen großen schwarzen Loch. Darüber lachte er später. Seit dieser Zeit, seit 2000, lehrte Hube an der Volkshochschule zu theologischen Themen, seine Kurse waren immer voll besetzt. Die „Biblischen Reisen“, die das Kursangebot ergänzten, und auf denen er 20 Mal mit rund 30 Interessierten auf den Spuren der Propheten im Heiligen Land unterwegs war, kamen dazu.

In 2011, entlang des roten Fadens der Lutherdekade, sprach er über den großen Reformator und seine Mitstreiter und/oder Gegenspieler Melanchthon und Calvin. Der Propst war zudem geistlicher Begleiter in Verbindung mit seiner Arbeit im Kloster Loccum, er besorgte in Uelzen für den Rotary-Club das Archiv, wanderte jeden (jeden!) Mittwoch in der Gruppe rund zehn Kilometer und trat in der Nachtwächterstadtführung als Herzog Ernst, der Bekenner auf.

Hannes Hube war nie der Unnahbare, immer der Lebensnahe. Obgleich ihm seine Bemerkung auf einem ökumenischen Gottesdienst, er könne sich vorstellen, dass eines Tages Christen und Moslems zusammen beten, einen Sturm der Entrüstung einbrachte. Die Ökumene war ihm überhaupt immer wichtig, denn „dass wir uns besser verstehen“ war ihm Anliegen.

Er habe in St. Marien den „besten Arbeitsplatz“ gehabt, sagte der Propst noch im Ruhestand. „Die Kirche ist so schön, dass man aufpassen musste, dem lieben Gott nicht im Wege zu stehen, weil er dort fast alles selber macht. Ich hoffe, das in meinen guten Phasen hingekriegt zu haben.“ So Hube, der nie in barocker Selbstgefälligkeit Dinge sagte, die wie Theaterdonner verhallten, ohne wirklich zu erschüttern. Der im Sinne des biblischen Imperativ des Propheten Hosea überzeugt war: Rettet den Menschen, Frieden ist möglich.

Vor sieben Jahren zog er zurück nach Rinteln, in die Nähe seines Sohnes, der sich um die Eltern kümmerte. Auch dort predigte er noch und sagte so herrlich unkonventionelle Dinge wie: „Sieht es mitunter nicht so aus, als wäre Gott selber aus der Kirche ausgetreten?“ Hube war in seinem geistlichen Wort immer der praktische Denker, der Pragmatiker auch. Er verknüpfte die biblische Botschaft mit den Anfechtungen des Alltags, konnte so besser Trost vermitteln. Weit über formelhafte Gewissheiten hinaus.

Jetzt ist Hans-Wilhelm Hube, den ich die Ehre hatte, Hannes und „Du“ nennen zu dürfen, gestorben. In einem Chanson von Jürgen Walter heißt es: „Eine Stelle im Herzen bleibt leer – es gibt den Freund nicht mehr.“ Das macht traurig. Er wird nicht nur mir fehlen.

Barbara Kaiser – 11. Oktober 2021

 

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