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Die Macht des Imperativs

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St. Marien-Kantorei holt großes Vor-Corona-Konzert triumphal nach

„Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“ Ein Imperativ kann ja bezwingen. Und wird der noch so kategorisch und musikalisch brillant formuliert wie im Konzert in St. Marien, erliegt man ihm willig. Auf dem Programm des großen Konzerts der Kantorei mit Orchester und Solisten  stand Felix Mendelssohn-Bartholdys „Lobgesang“, die Sinfonie Nr. 2 B-Dur op. 52 aus dem Jahr 1840. Als Entree erklang dazu „Te Deum“ des 20-jährigen Georges Bizet, das der im Jahr 1858 einem Preisausschreiben für die beste geistliche Musik einreichte. Gewonnen hat er den „Prix de Rome“ nicht. Vielleicht wurde das Werk auch deshalb, allerdings völlig zu Unrecht, vergessen, erst 1971 wiederentdeckt.

Von Anfang an machten Chor, Orchester und Solisten klar, dass sich hier 90 Konzertminuten höchsten Anspruchs vorbereiten. Der Bizet schmetternd, den Torero-Einzugsmarsch ahnend. Ganz anders als ein „Te Deum“ bei Verdi oder, wer es moderner mag, bei Arvo Pärt. Eine erfreuliche Wiederentdeckung. Der Sopran von Cathrin Lange bereits hier stimmstark und innig gleichermaßen. Der Tenor Manuel Günther überzeugte durch stimmliche Flexibilität. Dazu gesellte sich eine bestechende Deutlichkeit beider Solisten. Auch Antonia Strieder, das Eigengewächs der Kantorei, deren Entwicklung man verfolgen konnte über die Jahre, die im „Lobgesang“ als zweiter Sopran fungierte, war ihrem Part gewachsen.

Erik Matz hielt am Pult alles zusammen.

Mendelssohns Partitur steht in der Oratorientradition des 19. Jahrhunderts. Das reichlich einstündige Werk war ein Auftrag der Stadt Leipzig (damals hatten Städte noch Geld für künstlerische Aufträge) zur 400-Jahr-Feier der Erfindung des Buchdrucks. Den Komponisten traf diese Aufgabe in einer Schaffenskrise: Seine 2. und 3. Sinfonie gingen nicht voran und blieben unbefriedigend, der „Lobgesang“ entstand deshalb als 4. Sinfonie, wurde am Ende aber als 2. eingruppiert. Mendelssohn findet hierfür eine glaubhafte Form des Zusammenwirkens von Poesie (Bibelzitate und ein Kirchenlied) und Musik und beendet damit auch seine künstlerische Stagnation. Zudem konnte er den Berlinern beweisen, dass die ihn völlig grundlos ein paar Jahre vorher als Nachfolger Carl Friedrich Zelters an der Singakademie der Stadt abgelehnt hatten. Als Gewandhauschef (ab 1835) in Leipzig kam er nun zu Ehren.

Die Sinfoniekantate vermeidet den hymnischen Tonfall von Beethovens IX., das Lob Gottes bei Mendelssohn ist schlicht, überzeugend, vom Dunkel ins Licht findend, am Ende dennoch triumphal. Die ersten 25 Minuten sind eine instrumentale Sinfonia. Bereits hier etabliert der Komponist im 1. Satz das Leitmotiv „Alles, was Odem hat…“ als beeindruckendes Posaunenfanal und als Maestoso. Er dekliniert das Ganze durch – hierin ist er vielleicht wie Beethoven, dem auch wenige Töne genügten für eine Welt. Der 2. Satz, ein Allegretto ist einem Musettewalzer nicht unähnlich, heiter vor allem. Das Adagio religioso des 3. Satzes ist an Sanftheit kaum zu überbieten (Bravo Holzbläser!). Hier die Spannung zu halten ist schwierig.

Aber: Erik Matz am Pult hält unaufgeregt wie immer alles zusammen. Er hatte sich aber auch fähige und spielfreudige Musiker an die Seite geholt! Das Orchester „Ad hoc“ ist, wie der Name sagt, ein Zusammenschluss je nach Bedarf. Die professionellen MusikerInnen aus Hamburg und dem norddeutschen Raum kennen sich, weil man sich in der Branche immer wieder über den Weg läuft. Was sie aus dieser Bekanntschaft (und den unterschiedlichen Zusammensetzungen) machen, ist hocherfreulich.

Die Solisten: Manuel Günther, Cathrin Lange und Antonia Strieder.

Zwei Drittel des „Lobgesangs“ gehören nach der instrumentalen Einleitung dann den Solisten und dem Chor. Schmelzend und innig das „Er tröstet die Betrübten mit seinem Wort“ des Tenors. Mühelos in der Höhe das „Die Nacht ist vergangen“ des Soprans. Wunderbar aufblühend der Chor mit „Sagt es, die ihr erlöset seid“. Eine überzeugende Zusammenarbeit im Choral „Nun danket alle Gott“, bei dem das Orchester eine flink laufende Begleitung spielt, während das Ensemble den Choralduktus durchhält.

Es war ein wohlgefälliges Musikerlebnis, bei dem sich, trotz des Moll-Zwischenrufs „Stricke des Todes hatten uns umfangen“, trübe Gedanken verboten. Eine glanzvolle Aufführung. Ein Lobgesang – dem man nur zum Lobe schreiben kann. Mitnichten Lobhudelei.
Auch wenn am Schluss ein übereifriger Applaudierer nicht abwarten konnte, bis die letzten Tonschwingungen davongeschwebt waren, der versunkene Musikliebhaber auftauchte aus dem Universum Klang. Das ist mehr als ärgerlich, kommt aber eben immer wieder vor.

Großen Dank also einem stilsicheren wie beredten „Ad hoc“-Orchester, einer seelenöffnenden Kantorei, die offen, nie betulich oder gar bigott ihre Noten darbrachte als heilsame Zumutung, Solisten, die im Piano überzeugten wie auch kraftvoll-kernig in schmetternder Höhe. Und natürlich Kantor Erik Matz, der seinem Publikum eine beeindruckende Musikstunde schenkte.

Barbara Kaiser – 08. Mai 2023

 

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