Der Affe als Mensch
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Guido Schmitt gibt mit Franz Kafka einen Erfahrungsbericht an die Akademie
„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Sagte Albert Einstein. Der Affe, den Hagenbecks Tierfänger in seiner Heimat erst anschossen und dann einsperrten, scheint das gewusst zu haben. Oder Dr. jur. Franz Kafka, der Dichter, wälzte seine Konflikte ähnlich. Herausgekommen jedenfalls ist ein Monolog, der fast alles sagt über Zusammenleben.
Franz Kafka ist Geschmackssache und schwierig obendrein. Depressiv veranlagte Zeitgenossen sollten den Poeten lieber meiden, denn für wen kann „die Verwandlung“ des Menschen in einen Käfer schon eine annehmbare Lösung sein? Die Metamorphose des Affen in einen Menschen vielleicht schon eher, denn von da kommen wir alle her.
Und darum geht es im Prosastück „Bericht an eine Akademie“, das Guido Schmitt im Neuen Schauspielhaus auf die Bretter brachte (Regie: Hansdieter Heiter). Der Freiheit, dieses imaginären Zustandes, der auch nicht ohne Regeln auskommt, beraubt, sieht der Primat keine andere Möglichkeit als zu lernen, sich seinen Häschern anzupassen. Denn eins hat er besser begriffen als wir: „Ich sage absichtlich nicht Freiheit. Ich meine nicht dieses große Gefühl der Freiheit nach allen Seiten. Als Affe kannte ich es vielleicht und ich habe Menschen kennengelernt, die sich danach sehnen… Nebenbei: mit Freiheit betrügt man sich unter Menschen allzuoft. Und so wie die Freiheit zu den erhabensten Gefühlen zählt, so auch die entsprechende Täuschung…“ Freiheit also nicht, sondern ein Ausweg wird gesucht.
Das Stück ist eine Herausforderung physischer wie psychischer Art, die Schmitt annahm.
Der Schauspieler hat unsere Verwandten offenbar genauer beobachtet, hat ihre Haltungen und traurigen Laute studiert. „Ich war das erste Mal ohne Ausweg“, resümiert der kafkaeske Mensch-Affe. Es geht um eine Möglichkeit des (Weiter)Lebens trotz allem. Für die braucht`s unter anderem auch Diplomatie und Kompromisse. Der Affe weiß das. Wir Menschen anscheinend nicht.
Vor vielen Jahren sah ich diesen Monolog schon einmal. Da intonierte der Schauspieler an dieser Stelle: „Die Gedanken sind frei…Arbeit macht frei…ein bisschen Frieden, ein bisschen… Einigkeit und Recht und Freiheit…“ – da war die Bitterkeit perfekt. Schmitt hält sich mit seiner Aufführung nur streng an den Text – ein wenig aktuelle Kreativität hätte hier durchaus gut getan!
Das Tier wird sich am Ende mit seiner Unterwerfungsbereitschaft und der Fähigkeit dazu (!) -immer ein Thema des Dichters, der schwer unter einem autoritären Vater litt – weit über seine einstigen Fänger stellen. Aber ist das ein Ausweg?
Kafkas Text besticht durch äußere Klarheit, Deutlichkeit und lakonische Präzision. Der Darsteller wird dem gerecht, obgleich die 50 Minuten nicht unbedingt auch ein Fest der Sprechkultur war. Dennoch hatte der Abend eine stille Würde. Wenn man Tiere liebt.
Theater ist Transitstation für Zeitgeschehen. Es bleibt die bange Frage: Was tun wir Menschen den Kreaturen an? So aktuell wie heute war dieses Nachdenken seit Kafkas Zeiten nicht mehr. Auch wenn es inzwischen verboten ist, sich die Zoopark-Tiere in der Wildnis zu fangen. Aber über „Freiheit“, Ausgrenzung, Unterdrückung und Koexistenz nachzudenken, bleibt akut und dringlich.
Barbara Kaiser – 03. April 2022