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Feuilleton News

So ist das bissel Leben

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Die Herkuleskeule Dresden holte ihr Gastspiel mit zwei Jahren Verspätung nach

Das Resümee zuerst: Es ist nicht mehr meine Vorstellung von  Kabarett. Mit knallenden politischen Pointen, mit Lachern, über die man erschrickt, weil es eigentlich nichts zu lachen gibt. Was Beate Laaß, Hannes Sell und Jürgen Stegmann, die Gäste der „Herkuleskeule“ Dresden, mit Texten von Philipp Schaller und Michael Frowin und der Musik von Jens Wagner und Volker Fiebig vortrugen, war eher aus dem einfachen Basissetzkasten für Weltbetrachtung. Ich weiß nicht, ob diese Art des Kabaretts, das ja immer eigentlich eine Veranstaltung der Übereinkunft zwischen Akteuren und Publikum ist, in der aktuellen Situation ausreicht. Natürlich muss auch die Frage gestellt werden, womit man eine immer mehr zur Parodie verkommende Gesellschaft, die obendrein den Krieg und die Aufrüstung als Mittel der Politik als gegeben hinzunehmen bereit ist, noch ironisch brechen und bespiegeln kann.

Da treffen sich also drei Pilger in einer Schutzhütte am Jakobsweg und warten, dass der Regen aufhören möge. Ohne elektronische Kommunikationsmöglichkeiten auf sich zurückgeworfen, werden sie beim Auseinandergehen konstatieren, dass sie schon lange nicht mehr so viel geredet haben wie in diesen drei Tagen. Es handelte sich also um Dauerregen, der drei Menschen einander näher kommen ließ.

Das Leben ist ja das, was passiert, indem man über seinen Sinn sinniert. Das Leben von Lars (Hannes Sell), Pfarrer und Bürgermeister in einem Brandenburgischen Kaff, Dirk (Jürgen Stegmann), Spulenwickler und angefressen von den zahllosen Eigentümerwechseln seines Betriebes, und Marion (Birgit Laß), Lehrerin mit Sendungsbewusstsein und verquerer Weltsicht, wenn es um die Kerle geht, braucht eine Auszeit. Aus verschiedenen Gründen.

Und so entwickelt sich vor den Augen und Ohren des Zuschauers ein Programm, das die Absurditäten der überzivilisierten westlichen Welt aufspießt. Auf der Suche nach sich selbst – diesen Selbstfindungsscheiß gibt es schon in der Gegenwartsliteratur zu Genüge! Mit der Ansicht über Langzeitbeziehungen von drei Wochen – die Oberflächlichkeit und Konfliktscheu der jungen Leute heutzutage sind eine Katastrophe für sich. Es geht um Fitnesswahn und Konsequenzen von Entscheidungen – wenn  man  denn bereit ist, welche zu treffen.

„Wer einen Schuldigen sucht“, und die Deutschen brauchen immer einen, „lässt andere für sich denken.“ Björn Höcke zum Beispiel. Oder Ken Jebsen und Attila Hildmann. Aber „soziale Abwärtsvergleiche“ machen wenigstens nicht depressiv wie wenn man nach oben zu seinem Chef linste… Es ist eine Nabelschau mit ein paar eingestreuten Fakten, zum Beispiel dass zwei Milliarden Kaffeekapseln = 40 Tonnen Müll jährlich produziert werden. Aber: „Keiner will  verzichten, wieso soll ich denn?“

Dieser Kabarettabend offenbart zwar den nichtigen Geisteszustand der Talk-Null-Runden, der zur zentralen Institution politischer Akklamation werden durfte, es zeigt aber nicht, dass aus sozialer Verunsicherung auch moralische Bedrohungen wachsen. Dass die Blickwinkel eng und die Blicke selber trüb und hart werden, wo das Bewusstsein der freien Selbstermächtigung fehlt. Eher sind die 90 Minuten großäugige Naivität, naives Gemüt, sonnige Einfalt – in der jetzigen Situation eigentlich Hohn und jeder Karnevalswagen ist spitzer.

Wagt man sich nicht an die Analyse, wie die große Sowjetunion zu einem Russland verkam, das wieder Krieg führt? Oder wie – gerade in Sachsen wahrscheinlich zuerst – die AfD auf den nächsten Ministerpräsidenten zusteuert? Wo sind die großen Zusammenhänge, die diese Welt lenken?

Ja, dieses Kabarett ist immer noch der Witz über Verhältnisse, bei dem es jedoch vor allem nicht um den Witz, sondern um die Verhältnisse als solche geht. Gehen muss. Es ist nicht der brillante, weise Humor, der auf erwartungsfrohe Lachmuskeln trifft. Man kann die Texte und Songs als Orakel und Menetekel zugleich nehmen, aber sie kommen auch mit Verkündigungsehrgeiz daher.

Das Schwierigste am Kabarett ist doch, über andere zu lachen und zu begreifen, dass man selber gemeint ist. Mit diesem ganzen Selbstfindungs- und Fitnesswahnsinn  habe ich persönlich nichts zu tun. Und was den Verzicht angeht: Mein Mann und ich üben uns sehr bewusst darin. Warum soll ich dann über die Idioten in den SUVs vorm Bioladen lachen? Oder über die sich selbst optimierenden Immer-zur-Verfügung-Steher?

Ohne Frage waren die drei Akteure  schauspielerisch und stimmlich auf der Höhe ihrer Aufgaben, auch wenn die hier und da zu laute musikalische Begleitung so manchen Text übertönte. Und so wäre vielleicht die leise Frage des Endes der wichtigere Programmpunkt gewesen: „Gibt es denn nicht noch mehr als das kleine private Glück?“ Das der Neoliberalismus so sehr gut heißt, weil es von den großen, wirklichen Problemen und dem Wesentlichen ablenkt! „Was interessiert mich, dass die Welt brennt, wenn das Kaminfeuer so schön knistert!“, ruft Dirk ins Publikum. Die Sezierung dieses Weltenbrands wäre das Wesentliche gewesen in diesen Zeiten. Aber um der Frage nachzugehen, dafür bräuchte es ein scharfes, unnachsichtiges, politisches Kabarett! Keine Selbstbespiegelung.

Barbara Kaiser – 02. April 2022