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Feuilleton News

Voller Fantasie

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Zum Tod des Pädagogen und Malers Karl-Friedrich Jacobs

Friedel Jacobs hatte von unserer ersten Begegnung an mein Herz gewonnen – denn er konnte Hölderlin rezitieren. Aus dem Stand. Hölderlin, diesen verkannten, armen Dichter, der einst in der Prüfung zur Klassischen Deutschen Literatur mein Prüfungsschwerpunkt war. Die Kommilitonen hatten mich für verrückt erklärt, sich mit einem zu beschweren, den schon zu Lebzeiten keiner verstand. Ich mochte ihn. Seine Sprachbilder, sein Leiden um Deutschland und seine Zeitgenossen. In Karl-Friedrich Jacobs hatte ich offenbar einen gefunden, der das verstand. Jetzt ist der Maler der fantasievollsten Aquarelle, der jährlichen thematischen Bildergrüße an Freunde und Bekannte, der Ex libris-Bilder ein halbes Jahr vor seinem 90. Geburtstag gestorben.

Jacobs Porträt ca. 2005

Die erste Ausstellung, die ich für Friedel Jacobs journalistisch betreuen durfte, war eine der kleinformatigen Radierungen. Die versandte er ein halbes Leben lang immer zu Jahresbeginn. Sie alle trugen stets hübsche, auch spitzzüngige Botschaften. Wer sich durch sie angesprochen fühlte, könnte schon mal geschmollt haben.

Der Uelzener Kunsterzieher Karl-Friedrich Jakobs besaß eine schier unerschöpfliche Fantasie und wurde nicht müde, sich Szenen, Situationen, Imaginäres auszudenken. Bei Präsentationen des Bundes Bildender Künstler (BBK) war er zuverlässig dabei und man erkannte seine Bilder sofort.

Geboren im Jahr 1932 in Ostpreußen  hätte er sich als Kind manche Ohrfeige eingehandelt, erzählte Jacobs gerne, weil er keine Fläche verschonte, die sich mit einer Zeichnung seiner Meinung nach nicht besser darstellte. „Auch heute ist keine Serviette vor mir sicher“, sagte er, „ich zeichne eigentlich ununterbrochen.“ Schon immer fielen seine Arbeiten auf als welche von berückender Poesie, als orgiastisch anmutende figurative Farbsinfonien, als in sich ruhende lyrische Schöpfungen. Er konnte aber auch in Schwarzweiß kreativ sein, nicht weniger stilsicher. Man  wunderte sich bei ihm, wie nuanciert die „Unfarbe“ sein konnte.

Zerbrochenes Glas

Jacobs ging in Seesen in die Schule, macht das Abitur. An Studieren war aus finanziellen Gründen eigentlich nicht zu denken, und er hatte sich auch schon in einem Betrieb als Lithograf beworben. Aber sein Lehrer meinte damals, er solle sein Talent nicht so verschwenden. So wurde Jacobs im Jahr 1954 folgerichtig doch Student an der (damals noch) Werkkunstschule Braunschweig, wechselte ein Jahr später an die Hochschule für Bildende Künste in Berlin (West), weil er dort das Examen ablegen konnte.

In der Fachrichtung Lehramt „konnten wir nicht den Künstlervogel rausfliegen lassen, das war nicht gestattet“, erinnerte sich Jacobs. „Alles, was ich gezeichnet habe, durfte ich meinem Professor nicht zeigen, es lag im Zimmer unterm Bett.“ Weil der Student aber immer der Meinung war, er könne an der Hochschule auf jeden Fall etwas lernen, fügt er sich in den geforderten Pragmatismus und malt eben auch wie gewünscht expressionistisch. „Das erfasste aber nicht mein Wesen“, sagte er. Der Expressionismus als Schrei, weil irgendetwas raus muss, als ein Aufbrechen der Formen, als greller Farbkontrast. Man glaubte es dem Erzähler, denn Jacobs` Bilder waren immer anders. Leiser.

Im Jahr 1958 bestand der Kunstlehrer sein Examen und kam über die Stationen Dannenberg und Duderstadt im Jahr 1971 am Herzog-Ernst-Gymnasium in Uelzen an, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1996 tätig war.

Angesichts postmoderner Beliebigkeit, bei der sich alles Kunst nennt, was Materialien schichtet und umschichtet, machen seine Bilder deutlich, dass wirkliche Kunst aus (akademischem) Können entsteht und dass ihr Anliegen ist, Sinnbilder zu erschaffen.

Die genannten Jahres-Gruß-Radierungen sind solche Sinnbilder. Da waren  zum Beispiel die drei Parzen (der Anlass für das Hölderlin-Zitat), die einen Maler barbusig bedrängen. Schneiden sie seinen Lebensfaden durch oder sind sie seine Inspiration, die Musen? Bei „Durchbruch“ steigt ein Maler durch seine Leinwand – wenn es hilft, zu neuen Sichten zu kommen, warum nicht. Manchmal muss man eben alte Wände einreißen.  „Wagnisse“ dagegen lässt des Betrachters Haare sich sträuben. Ein Mann und eine Frau bauen Türmchen aus Dingen, die für eine Balance niemals kompatibel sind. Man ahnt die Katastrophe. In Form eines Ehestreits vielleicht?

So eine Bilder-Findung sei immer ein Weg, sagte Jacobs, „eine Korrespondenz, ein Spaziergang, ein Abenteuer.“ – Dazu Picasso: „Ich suche nicht, ich finde.“ – Das sollte es auch für den Betrachter sein: Zwiesprache und Abenteuer. Auffällig häufen sich einige Allegorien oder Symbole. Das Wasser beispielsweise. Oder die Türme. Karl-Friedrich Jacobs fühlte sich, darauf angesprochen, ertappt. Natürlich liebe er das Wasser, er sei an einem See groß geworden. Und die Türme? „Die Sehnsucht, irgendwo raufzusteigen vielleicht“, gab er zu Protokoll.

Ist es auch der Wunsch, den Überblick zu behalten im Leben? Oder die Angst – die Ähnlichkeit mit den Türmen vom Babylon Breughels und Tübkes sind nicht zu bestreiten -, die Menschen könnten sich irgendwann gar nicht mehr verstehen?

Friedel Jacobs Mit Anna Susanne Jahn

Sich über andere zu erheben schied bei Karl-Friedrich Jacobs immer aus, dafür war er nicht der Mensch. Dazu war er stets zu bescheiden, gütig in meinen Augen, nie zynisch. Er las Gedichte und lernte sie ohne Schulzwang bis heute noch auswendig. Er interessierte sich für Botanik. Man konnte sich mit ihm unterhalten, wie Sprache zu klingen in der Lage ist und dass die Kunst heutzutage nur marktgerecht zu sein hat. „Es ist die ewige Wiederholung, der Markt hat eigentlich für Kreativität keinen Platz“, war er, ein wenig resigniert, sich sicher.

Jacobs resignierte nicht. Seine Bilder sind, die farbigen wie die schwarzweißen,  Leben und meist Freude. „Spielplätze“ heißt eines und die Menschen fahren zwar Kettenkarussell, aber – sie lesen auch. Wie erfreulich! Auf jeden Fall gab Karl-Friedrich Jacobs seine Begegnungen mit der Welt auf neugierige, wissende, erfahrungsgesättigte Zuneigung, letzteres vor allem, wieder.

Jetzt hat der Pädagoge und Maler den Zeichenstift aus der Hand gelegt. Die drei Parzen von Hölderlin, Nona, Decima und Parca, haben seinen Lebens- und Schicksalsfaden gesponnen, abgemessen und – cut! – abgeschnitten. „Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!/ Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,/ Daß williger mein Herz, vom süßen/ Spiele gesättigt, dann mir sterbe.“ So reimte vor 200 Jahren der, den Friedel Jacobs vor allem wegen seiner Sprachkunst verehrte. Bleibt zu hoffen, dass seine Malerei uns Betrachtern lustvolles Spiel bleibt, das es nämlich immer war.

Barbara Kaiser – 14. April 2022

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