Verteidigung im Ernstfall
Selbsteverteidigungstraining auch für Menschen mit Handicap
Insbesondere wir Frauen kennen jene Angst im Nacken: Allein und spät abends auf dem Heimweg. Den Haus- oder Autotürschlüssel als Waffe zwischen die Finger geklemmt. Möglichst mit dem Handy am Ohr, damit uns jemand hören kann, falls wir um Hilfe schreien müssen. Blöd nur, wenn Frau im Funkloch unterwegs ist und beide Hände für den Rollstuhl benötigt.
Was können wir tun, um nicht von vorneherein wie ein Opfer – wie leichte Beute – zu wirken? Was können wir tun, geraten wir doch in eine gefährliche Situation? Gibt es für Frauen wie Ronja Junk, die auf einen Rolli angewiesen ist, überhaupt eine Chance? Was, wenn die Angst im Nacken tatsächlich eine echte Gefahr signalisiert? Fragen, die Krav-Maga-Trainerin (Full Instructor) Katrin „Kaddy“ Ostermann beantwortet. Sie hat mit Ronja trainiert und wird auch Trainingstage in der Kreisvolkshochschule in Uelzen anbieten. Auch dank „Kate“ Kathrin Arlt, die u.a. Kurse für Gesundheitsbildung in der KVHS koordiniert und „netterweise“ für die Fotos, die hinter dem Gebäuderücken der KVHS gemacht worden sind, einen Bösewicht gespielt hat.
Barftgaans: Hallo Kaddy, du hast mir erzählt, dass du in deinem Hauptberuf als Chemielaborantin den Gesetzen der Natur folgst und nach Feierabend deiner Leidenschaft als Krav-Maga-Trainerin. Darüber möchten wir mehr wissen.
Kaddy: Im Bereich der Selbstverteidigung liegt mein Schwerpunkt auf dem Kinder- und Jugendtraining. Doch, ob ich mit jungen Menschen oder mit Erwachsenen trainiere: Wir alle haben Stärken und Schwächen. Emotional und körperlich. Wichtig ist, die vorhandenen Stärken zu entdecken, zu fördern und die für sich geeigneten Wege zu finden. Dabei möchte ich helfen. Wer sich seiner selbst bewusst ist, kann sich behaupten und somit auch verteidigen – sollte es nötig sein.
Barftgaans: Ronja strahlt viel Selbstbewusstsein aus.
Kaddy: Stimmt. Natürlich haben wir uns aber gefragt: Ist eine Selbstverteidigung vom Rollstuhl aus wirklich möglich? Oder würden unsere Trainingsversuche nur dazu führen, falsche Sicherheit zu vermitteln? Da nur reden und denken nicht immer zum Ziel führt, blieb uns ausprobieren und dabei zu merken, dass die Optionen für Menschen, die einen Rollstuhl zur Unterstützung benötigen, absolut individuell zu gestalten sind. Statt eines kompletten Systems mit Technik A, B, C braucht es offene Trainingskonzepte mit vielen Möglichkeiten.
Barftgaans: Wie und wo habt ihr euch gefunden?
Kaddy: In unserem kleinen Stadtatelier (Ehrenamtliche Emofotologie / Selbsthilfefotografie / Kreative Inklusion unter der Schirmherrschaft des Paritätischen Uelzen) in Uelzen. Ich habe bei Emofotologin Brigitte Schulz nachgefragt. Sie hat uns bekannt gemacht und der Rest ist nun auch Fotogeschichte.
Barftgaans: Ronja, du bist als ehrenamtliche Assistentin für unser kleines Stadtatelier und auch für die junge Selbsthilfe unterwegs. Wie hast du reagiert als Kaddy dich gefragt hat, ob du mit ihr trainieren und mögliche Trainingskonzepte für Menschen mit Handicap ausprobieren würdest?
Ronja: Ich war auf der Stelle von der Wichtigkeit solcher Trainings überzeugt. Heute darf ich sagen: Mir haben unsere Übungen viel gebracht und tatsächlich auch mein Selbstbewusstsein gestärkt. Ich werde weiter trainieren und Interessierten gerne mehr über meine Trainingserfahrungen erzählen.
Barftgaans: Wie haben die Passant*innen reagiert, als ihr diese Fotosession in der Uelzener Fußgängerzone veranstaltet habt?
Ronja: Was glaubst du? Ich bin einige Male durch die Luft geflogen und Kaddy und Brigitte waren immer wieder laut und deutlich zu hören: „Du musst breitbeiniger gehen, Kate! Du musst Eier haben und Rasierklingen unter den Armen!“ „Ey, du da! Ja, du in dem roten Trainingsanzug: Kannst du Kate mal bitte zeigen, wie ein Kerl geht?“ „Schlag zu, Ronja!“ „Du möchtest meine Handtasche klauen? Du Dieb du! Hier bitte!“ „Kannst du Ronja bitte nochmal würgen, Kaddy!? Ich brauche noch ein Foto!“
Barftgaans: Du meinst, ihr habt trotz des ernsten Themas Spaß gehabt und zugleich die gewünschte Aufmerksamkeit bekommen?
Kaddy: Und die ersten Anmeldungen. Dank Susanne Hasler und Sibylle Kollmeier. Brigitte hat unseren Fotonachmittag mit dem Vorführtraining bewusst zwischen Samocca-Café und Ratsweinhandlung stattfinden lassen. Im Samocca arbeiten ja auch Menschen mit Behinderungen.
Ronja: Und Sibylle Kollmeier ist nicht nur Chefin der Ratsweinhandlung, sondern noch u.a. onkologische Kosmetikerin (Atempause Kosmetik). Sie weiß nicht bloß aus dem eigenen Erleben heraus, wie es ist, mit einem körperlichen Handicap leben zu müssen, spät Feierabend zu haben und oft nach Einbruch der Dunkelheit zum Auto gelangen zu müssen … Und sie hat uns für die Fotos schön geschminkt. Ehrenamtlich.
Barftgaans: Schön und stark. Das seid ihr wirklich alle. Vielen Dank für euer tolles Engagement und dieses außergewöhnliche Interview.
[Brigitte Schulz]
Krav Maga – Ein Selbstverteidigungssystem
Krav Maga zeichnet sich durch einfache, effektive Techniken aus. Natürliche, instinktive oder wie in diesem Fall durch körperliche Handicaps bedingte Reaktionen werden berücksichtigt und individuell angepasst trainiert. Thematisiert wird dabei auch, wie sich bestimmte Situationen u.U. vermeiden lassen.
Krav-Maga-Trainerin Katrin Ostermann ist zu erreichen unter der Mobilnummer: 0160 - 3791522.