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Sterne und Zitronenfalter – Jürgen Trumann veröffentlicht neuen Gedichtband mit 70 Versen

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Die Gedichte, die Jürgen Trumann in seinem neuesten Bändchen „Kopf hoch!“ vorstellt, sind anders. Sie sind genauer, schöner, relevanter. Sie haben eine Stimmung, die manchmal eine Farbe ist, aber auch Bedenkendes, das in unsere Gesellschaft weist. Ich meine, dass sich die Reime, die ihre Anleihen bei Ringelnatz, Kästner, Tucholsky, Kaléko und anderen nehmen, mehr und mehr aber „Trumann“ sind, nicht mehr so sehr um sich selber drehen, wie die allerersten aus der Feder des Autors. Dass nicht mehr (auch oft zu kunstvoll) gedrechselt wird, sondern Sprache besser fließt. Was beweist, dass der Dichter sicherer geworden ist im Umgang mit den Worten, den Begriffen, die die Befindlichkeit oder die Bilder passend genau beschreiben.
Es ist sicherlich ein Zufall, dass der diesjährige Nobelpreis für Literatur schon wieder an jemanden ging, der Gedichte schreibt. Nach 2011 Tomas Tranströmer – „weil er uns in komprimierten, erhellenden Bildern neue Wege zum Wirklichen weist“ – erhielt nun Louise Glück die begehrte Auszeichnung. Für „ihre unverkennbare poetische Stimme, die mit strenger Schönheit die individuelle Existenz universell macht“, urteilte die schwedische Akademie. Wobei sich erste kritische Stimmen zu dieser Wahl vernehmen lassen, die der Autorin vorwerfen, dass sie unpolitisch sei, „desinteressiert an gesellschaftlichen Strukturen“ und „konservativ bis ins Mark“ (Süddeutsche). Und wenn sie angesichts des Preisgeldes öffentlich verkündet, sich endlich ein Haus in Vermont kaufen zu können, mag das vor allem das gesellschaftliche Desinteresse der Lyrikerin illustrieren.
Nun wird nicht jeder ein Nobelpreisträger. Aber die „individuelle Existenz universell“ machen – das finde ich auch in den Reimen von Jürgen Trumann. Vielleicht kann man auch das Fahrrad nicht immer neu erfinden, und ein gutes Gedicht ist eben ein gutes Gedicht! So schreibt unser Uelzener Dichter, an Goethe angelehnt, die Verse, die dem Buch den Titel gaben: „Über allen Wipfeln ist Ruh./ Für das rastlose Auge findest du/ an geeignetem Orte, bei günstigem Wetter/ einen weiteren Seelenglätter:/ Im Blau eine weiße und wundervolle,/ windgefönte Wolkentolle./ Später den glutroten Sonnenball./ Ich meine, es lohnt sich in jedem Fall,/ in jeder erdenklichen Lage im Leben,/ das Haupt zu erheben,/ solche Momente beim Schopfe zu fassen/ und sich die Laune toupieren zu lassen.“

Ist das nicht Optimismus pur? Oder beispielsweise das „Treibholz“: „Ein Weidenast, im Teich versenkt./ Ob der sich ärgert? Ob er denkt?/ Wie wirkt die neue Bleibe?/ Nach einer Woche grünt sein Reis –/ und gibt mir so sein Motto preis:/ Lass dich nicht treiben. Treibe!“
Der Leser erkennt Trumann als genauen Beobachter. Und tatsächlich ist er viel unterwegs in der Stadt. Wie hier am Ratsteich. Er spricht die Menschen nicht an, er schaut genau hin. Und trotzdem erfährt er so viel über sie; mehr, als wenn er lange „Small­talks“ hielte. Der Dichter nimmt sich Zeit – ein kostbares Gut. In dieser so oberflächlichen, hektischen Zeit umso mehr. Was haben wir geschworen, nach dem Corona-Lockdown würde alles anders. Ist es das geworden? Oder sind wir nicht eher zur Tagesordnung übergegangen?
Auch vor dieser Gedankenlosigkeit und Flüchtigkeit warnt uns Jürgen Trumann mit seinen Versen, weil ein Gedicht eben wirklich den Tag retten kann – wie es sinngemäß schon bei Goethe steht und es der argentinische Autor Roberto Juarroz sagte. Und vielleicht bewahrt es uns auch vor Selbstmitleid: „Was machte wohl der Nasenbär,/ wenn er wie ich erkältet wär?/ Was triebe die Giraffe, falls/ Entzündung plagte ihren Hals?/ Wie fühlten sich bei penetranten/ Ohrenschmerzen Elefanten?/ Der Trübsinn, der sich eingeschlichen,/ wich nun, da ich mich verglichen./ Ein wenig hilft bei Krankheit schon/ gesundes Maß an Reflexion.“ Und nicht nur bei Krankheit, möchte man rufen! Jammern wir nicht alle mal auf sehr hohem Niveau?

Die kleinen Gedichte von Jürgen Trumann sind bunt. Manchmal gelb wie der erste Zitronenfalter im Frühling, der „gelbe Gaukler“, „Taumeltänzer“, „Luftdurchschaukler“. Manchmal blau, wie das Wolkenloch, das der Sturm riss und das ein „Hindernis für Nackenschläge“ darstellt, wenn man den Blick nur ein wenig höbe.
Es geht um Meteorologisches und Kosmisches, um die Natur, Zwischenmenschliches, Krankheit oder Blessuren verschiedener Art. Immer kann sich der Leser wiederfinden in diesen Gedichten, die sich manchmal im Druckbild vor Ringelnatz verbeugen, ansonsten in unterschiedlichen Reimformen daherkommen. Ich habe jedoch den Eindruck, dass Trumann eine verlässlich eigene Sprache gefunden hat mit den Jahren. Und die allermeisten der 70 Reime habe ich mit einem Lächeln entschweben lassen, auf den Nachhall, den sie verursachten, hörend. Beglückt auch, dass einer Sprache so zu handhaben weiß und sie ernst nimmt in Zeiten von WhatsApp und anderen gedankenlosen, einfach nur hinausposaunten Kurzmitteilungen. „Kopf hoch!“, ruft uns Jürgen Trumann zu und schenkt uns Gedichte, die wir aber, seinem Wunsche entsprechend „geneigten Hauptes“ lesen sollten. Weil das Ruhe und Bedenken und Entspannung einschließt. Und die eine oder andere Erkenntnis.

[Barbara Kaiser]

Kopf hoch!
70 Gedichte
von Jürgen Trumann
10,00 Euro
ISBN: 978-3-947379-26-2
Erhältlich unter
www.initia-medien.de