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Feuilleton

Gehört zur DNA der Stadt – Kulturkreis Uelzen feierte 75. Geburtstag mit einer Gala

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Der Bürgermeister ließ sich entschuldigen. Was bei der langfristigen Ansetzung und der Besonderheit dieses Termins zumindest befremden darf: Der Kulturkreis Uelzen feierte seinen 75. Geburtstag im Ratssaal. Leider nur in kleiner Runde geladener Gäste. Kein rauschendes Fest – eine kleine, eher bescheidene Gala. Die Glückwünsche aber kamen von Herzen.

So zeigte sich Dr. Florian Ebeling, Erster Stadtrat und Vertreter des Bürgermeisters, überzeugt, dass der Kulturkreis sehr wohl als „Städtisches Kulturamt“ funktioniere und eine Vielseitigkeit von Aufgaben bewältigt, die staunen macht. Er kramte ein wenig in der Geschichte und dankte den Vorstandsmitgliedern, die meist im Ehrenamt arbeiten, aus voller Überzeugung.

Landrat Dr. Heiko Blume, der auch in der Funktion des Vorsitzenden des Lüneburgischen Landschaftsverbandes gratulierte, erinnerte an die Zeit der Gründung im November 1946. Hatten die Menschen damals nicht andere Sorgen, fragte er rhetorisch. Um gleich darauf die Antwort zu geben: Neben einer warmen Decke und einer täglichen Mahlzeit, die das Wichtigste waren, vor allem auch für die vielen Flüchtlinge im Bohldammlager, hätte jedoch genauso „die Seele Nahrung gebraucht“. Dieser Umstand erklärt vielleicht den großen Zuspruch, den der Kulturkreis erfuhr gleich nach der Gründung; fast 1000 Mitglieder trugen sich ein, obwohl es überhaupt noch keinen Plan für Veranstaltungen gab.

Als ein wenig planlos erwies sich auch die künstlerische Umrahmung der Veranstaltung durch Künstler des Theaters für Niedersachsen (TfN), das dem Kulturkreis stets Partner war. Die lose Kette von Nummern aus Stücken, die einmal in Uelzen für die Bühne eingekauft worden waren, begann mit der Kavatine des Grafen Almaviva, „Sieh schon die Morgenröte der Welt entgegenlachen“ – vielleicht als Omen gedacht für den Beginn der neuen Organisation für Kultur. Die folgende „Verleumdungsarie“ des Basilio muss man vielleicht nicht unbedingt in einen diesbezüglichen Zusammenhang stellen.

Julian Rohde (Tenor) und Uwe Tobias Hieronimi (Bass) sangen in der Begleitung von Panagiotis Papadopoulos am Flügel die Partituren aus Gioachino Rossinis „Barbier von Sevilla“. Zu ihnen gesellte sich Neele Kramer (Mezzo) als La Périchole, die Geliebte des Vizekönigs von Peru, mit deren Schwips-Arie aus der gleichnamigen Operette von Jaques Offenbach.

Der Ratssaal erwies sich leider wieder einmal als ziemliches Akustik-Ungeheuer, auch wenn die Solisten und vor allem der Pianist sich hätten ein wenig zurücknehmen können für dieses Programm zwischen Humperdinck, Weber und Kuhlau, Georg Kreisler, Paul Abraham und Eduard Künneke – „Die Blume von Hawaii“ und „Der Vetter aus Dingsda“ sind noch gar nicht so lange her! Zwischen Versen von Heinrich Heine und Johann Wolfgang von Goethe – den „Faust“ gab es mehrmals in all den Jahren.

Die Festrede hielt Ute Lange-Brachmann als gegenwärtige Vorsitzende des Kulturkreises. „Liebe Festgemeinde!“, sprach sie die Anwesenden an. Das ist schön gendergerecht. Sie wolle, so die Rednerin, einen Einblick in die Biografie des Kulturkreises geben. „Ich sage bewusst Biografie, denn der Kulturkreis lebt“, zeigte sie sich überzeugt. Von den schweren Anfängen war schon geredet worden. Dass im Februar 1947 die erste Veranstaltung mit Versen von Rainer Maria Rilke stattfand, erfuhren die Zuhörer jetzt. Rilke! „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben…“ Diese Sprache muss die Zuhörer angerührt haben nach all dem demagogischen, platten Geschrei der Jahre davor. Im Februar 1947 war die Hoffnung groß.

Der Kulturkreis habe sich in die Satzung geschrieben, „hochwertige Veranstaltungen“ zu erschwinglichen Preisen anzubieten, erinnerte Lange-Brachmann. Man hatte den Menschen Halt geben wollen. „Der Zweck des Vereins ist die Volksbildung“, zitierte sie aus dem Dokument. „Auch wenn man es heute vielleicht nicht mehr so nennen würde.“ Warum eigentlich nicht? Um Bildung geht es im Theater immer noch, obgleich man bei manchen „kulturellen“ Beiträgen eher an „Verdummung“ denken mag.

„Wir stehen auf den Schultern unserer Vorgänger“, fasste die Rednerin die Arbeit zusammen, „auch wenn wir so große Angebote wie früher nicht mehr machen können.“ Vielleicht hat ja aber ihre leise Mahnung an die Verantwortlichen der Stadt, die man viel zu selten im Theater sieht, gefruchtet, und das neue Haus an der Ilmenau erlebt nach der Sanierung eine Renaissance im wahrsten Sinne. Wenn auch endlich die Zusammenarbeit mit den Schulen besser klappte, was nie am Kulturkreis gelegen hat, die Menschen sich besännen, dass neben „Spassss haben“ auch das Denken Freude machen kann. Denn dafür gibt es das Theater, auch wenn das immer weniger „moralische Anstalt“ in Schillers Sinne ist. Aber: Die Kultur dafür wird in nun dritter Generation organisiert von einem Kulturkreis, der „zur DNA der Stadt“ gehört, wie es Lange-Brachmann nannte. Eine DNA, die inzwischen viele kleine Stränge durch Stadt und Landkreis ausgebildet hat.

Barbara Kaiser – 05. November 2021