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Feuilleton

Krisen-Saison – Kulturkreis Uelzen organisierte Veranstaltungen trotz zweifacher Widrigkeit

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„Der Reisekonzern Tui soll zur Überbrückung des Geschäftsbruchs in der Coronakrise weitere staatliche Hilfen erhalten. Unter anderem werde dabei ein schon bestehender Kredit der Förderbank KfW um 1,05 Milliarden Euro aufgestockt, wie das Unternehmen mitteilte. Tui hatte bereits ein erstes Darlehen von über 1,8 Milliarden Euro zugesprochen bekommen…“ Das war vor geraumer Zeit eine Zeitungsmeldung, die eigentlich den Tui-Managern die Schamesröte ins Gesicht treiben müsste angesichts der vielen kleinen Unternehmen, der zahllosen Restaurants, Hotels und Gaststätten, der Tausenden Kulturveranstalter, Theater, Musikbands und Solo-Künstler, die derlei Hängematte vom Staat nicht erhalten. Der selbsternannte weltgrößte Reisekonzern mit einem Umsatzeinbruch von 95 Prozent – ja, und? Hat man keine Rücklagen? Das ist jetzt nur ein Beispiel, wie die Großen wieder einmal an den Fleischtöpfen sitzen. Und da haben wir noch nicht von der Autoindustrie geredet, die die Entwicklung verschlief – Mercedes erhielt gerade für den „ökologisch unsinnigsten SUV“ mit 600 PS und einem Leergewicht von 2,5 Tonnen einen Negativpreis der Deutschen Umwelthilfe – und trotzdem beim Staat auf der Matte steht, von Kurzarbeit profitiert und so weiter macht wie bisher.
Was hat das nun alles mit der Kulturorganisation in diesem Landkreis zu tun, werden Sie fragen, liebe Leserinnen und Leser? Aber ist es nicht gut zu wissen, dass derlei (kapitalistischer) Egoismus hier nicht so nachdrücklich Raum griff? Da stellte die Woltersburger Mühle freien Künstlern für ein Wochenende eine Bühne und bezahlte Honorar. Da verhalf Kantor Erik Matz auch in den Gottesdiensten dem einen oder anderen Solisten zu einem kleinen Salär und seine Sommerkonzerte waren ein Erfolg. Da hält der Marketing-Geschäftsführer Gerd Kreutz in Bad Bevensen den Kontakt zu seinen Künstlern und überlegt, wie ihnen ein Auftritt doch ermöglicht werden kann. Und das sind nur wenige Beispiele aus dem Landkreis für das Engagement in dieser Krisenzeit. Weil es hier viele Menschen gibt, die sich der Meinung von Martin Kranz, dem Intendanten des Weimarer Achava-Festivals, anschlössen, der Kultur nicht nur systemrelevant, sondern lebensrelevant nannte!

Auch der Kulturkreis Uelzen hat eine neue Saison organisiert, obwohl die Akteure dort vor gleich zwiefacher Widrigkeit stehen: Corona und das geschlossene Theater. Manchmal kommt es eben ganz dicke. Aber jetzt ist ein Programm eingetütet, das am 27. September mit dem ersten Symphonischen Ring in der Stadthalle bereits begann. Die Stadthalle kommt zu neuen Ehren, denn sie wird neben St. Marien und dem Ratssaal Hauptspielplatz sein.
Ich selber freue mich auf die „Iphigenie auf Tauris“ (12. November), obgleich es mich misstrauisch macht, dass die fünf Goethe-Aufzüge in einer Stunde 40 Minuten und mit nur zwei Personen über die Bühne gehen werden. Das Programm ist überhaupt insgesamt eher kammerspielartig aufgestellt, auf große Chöre und Menschenmassen auch auf dem Theater werden wir noch eine Weile warten müssen. Auf jeden Fall aber gibt es eine Silvester-Gala mit den üblichen Verdächtigen aus heiterer Oper und Operette. Interessant dürfte das „Glas-Blas-Sing-Ensemble“ sein (28. Oktober), das auf diversen Flaschen Musik produziert. Es gibt Poetry Slam und „Die Herkuleskeule“, die im vergangenen März zu den ersten Opfern des Shutdown gehörte – ein Jahr später, am 19. März 2021 wollen sie zurückkehren. Für Kinder steht etwas auf dem Programm und ein Neujahrskonzert mit den Göttingern gibt es selbstverständlich auch. Und: Hinrich Alpers hat am 10. Oktober seine Winterkonzertreihe begonnen! Am 28. November geht es weiter, immer in St. Marien.
Am besten und effektivsten wird sein, Sie, liebe Leserinnen und Leser, informieren sich im Kulturkreisheft, das auch in diesem Jahr wieder von Collagen des Künstlers Georg Lipinsky geziert wird. Und vielleicht haben wir ja in diesen nicht einfachen Zeiten erkannt: Wenn Erfüllung nie infrage steht, verkommt alles zur selbstverständlichen Inbesitznahme. Kunst und Kultur standen ein halbes Jahr lang sehr infrage – gehen wir achtsam mit ihnen um und freuen uns auf die Angebote.

[Barbara Kaiser]