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Kontraste

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2. St.-Marien-Sommerkonzert mit Neuer Musik und bewährtem Barock

Man muss sich Johann Sebastian Bach wahrscheinlich als glücklichen Menschen vorstellen. Als einen lebensweisen obendrein. Denn hätte er sonst solche Verse vertont wie: „Ruhig und in sich zufrieden/Ist der größte Schatz der Welt.“ Oder diese Mahnung an die Generation Spaßgesellschaft: „Ihr suchet, was ihr nicht könnt kriegen,/ Und kriegt ihr`s, kann`s euch nicht vergnügen;/Vergnügt es, wird es euch betrügen/ Und muss zuletzt wie Staub zerfliegen.“ Das ist doch auch nach fast 300 Jahren noch weise, oder?

Die weltliche Kantate „Ich bin vergnügt in mir“ (BWV 204) für Sopran, Barockorchester und Cembalo nach dem Text von Christian Friedrich Hunold (1680 bis 1721), der sich als Dichter Menantes nannte und unter diesem Pseudonym der berühmteste deutsche „galante“ Autor war, erklang beim 2. St.-Marien-Sommerkonzert. Bach komponierte sie 1726 in Leipzig für einen unbekannten Anlass – vielleicht hat er ja den Reichen seiner Stadt den Spiegel vorhalten wollen. Wer weiß es.

Vorangestellt im Programm hatte Kantor Erik Matz allerdings schwerere Kost: Den Liederzyklus „Lieder um den Tod“ op. 62 nach Gedichten von Christian Morgenstern von Yrjö Kilpinen für Sopran und Klavier. Man erschrickt auch hier vor Textpassagen wie beispielsweise: „Durch die Lande auf und ab/ schreitet weit Bauer Tod;/ aus dem Sack um seine Schulter/ wirft er Keime ohne Zahl.“ Da war das kleine Intermezzo zwischen dem ernsten und heiteren Teil, die Orchestersuite Nr. 2 (BWV 1067) für Flöte, Streicher und Continuo des Leipziger Thomaskantors, etwas zum Aufatmen, Durchatmen.

Matz hatte kompetente und fähige Gäste für sein Programm eingeladen: Das Barockensemble mit Konzertmeisterin Galina Roreck und den bereits in der Vergangenheit außerordentlich positiv aufgefallenen Solistinnen an der Flöte (Christiane Carstensen) und den Oboen (Britta Hinrichs, Anke Nickel). Für den vokalen Part sorgte die Sopranistin Julia Henning, Erik Matz selbst saß am Flügel beziehungsweise dem Continuo.

Die Konzertstunde des frühen Samstagabends bot geballte Anspannung und eine Balance zwischen Leidenschaft und Respekt, sicher stehend zwischen Tradition und persönlicher Anteilnahme. Ausnahmslos alle MusikerInnen sahen das Spiel als Pflicht und Verantwortung, nie als Selbstdarstellung
Julia Henning besitzt einen Sopran mit einem beachtlichen Stimmumfang, der zur Dramatik genauso befähigt wie zur Poesie. Der Text der Bach-Kantate hatte nämlich durchaus Aphorismenqualität – das musste ins Publikum. Obgleich die Programmhefte der St.-Marien-Konzerte immer sehr hilfreich sind dabei. Die Instrumentalisten schafften eine Eleganz der Melodiebildung und ließen doch auch mit Schlichtheit dem Werk die Chance, sich selbst zu offenbaren.

Die Kontraste hätten nicht größer sein können. Anfangs die Todeslieder, die dem Zuhörer auch schon mal das Grausen lehren konnten. Als Übergang die wunderbare Orchestersuite mit flottem, aufgeräumtem Rondeau, munter-heiterer Bourrée, dem schnellen barocken Hoftanz, Polonaise und Menuett und dem Badinerie, einem mutwilligen Spaß in Noten, der ein sehr bekanntes musikalisches Motiv ist. So modern und aktuell ist eben Bach!
Das hatte Wohlfühlqualität. Christiane Carstensen spielte die Soloflöte behände und fingerflink und an keiner Stelle aufstörend schrill. Das Streicherensemble schmiegte sich an und behauptete doch Eigenes.

Brillant und exquisit die beiden Oboen in der Kantate; die Sologeige komplettierte souverän den schönen Gesamteindruck. Die Sopranistin stand ihren umfangreichen Part gestaltend und sicher durch. Erik Matz wird sich gefreut haben über ein gelungenes Konzert, das nie bloßer Schöngesang beziehungsweise Schönspiel war, sondern in dem die Noten mit Ausdruck und musikalischer Charakteristik erfüllt wurden. Dafür gab es am Ende den verdient langen Beifall.

Am Samstag, 16. Juli 2022, erklingen beim 3. Sommerkonzert Videospiel- und Filmmusiken, bearbeitet für Orgel. Am Instrument auf der Empore Annika Köllner. Um 16.45 Uhr, St. Marien.

Barbara Kaiser – 10. Juli 2022

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