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Feuilleton

Keine Verrücktheiten

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Johannes Vogt-Krause über Privates, Kultur und Engagement

Wenn ein fünfjähriger Junge aus Franken nach Hamburg verschleppt wird, weil die Familie auseinanderbricht, die Mutter einen neuen Partner hat, die kaum ältere Schwester des Kleinen aber in Bayern bleibt – so darf man das einen Kulturschock nennen. Wer Johannes Vogt-Krause jedoch schon einmal „Dat du min Leevsten bist“ hat singen hören, kann sich den auch wegen seiner Sprache gehänselten Kleinen aus den 1950er Jahren nicht mehr vorstellen. Aber es prägt den Menschen wohl.

Johannes Vogt-Krause ist heute 73 Jahre alt und sagt, dass er momentan zufrieden und glücklich sei. Vielleicht auch, weil vor sieben Jahren, als er mit 66 – wo ja das Leben angeblich erst anfangen soll – in Pension ging, noch einmal eine ganz andere Phase startete. Statt des bequemen Lehnstuhls ließ er sich nach der Feststellung, er hätte doch jetzt Zeit, auf den Vereinsvorstand des Neuen Schauspielhauses Uelzen ein. „Das hatte damals weniger mit einem Interesse für Kleinkunst und Theater zu tun“, bekennt er. Die hätten in seinem Leben bis dahin eine eher unterbelichtete Rolle gespielt. Vogt-Krause liebt die Musik mehr. Als Sohn eines Organisten ist da wohl was in der DNA hängengeblieben, auch wenn er früh von seinem Vater getrennt wurde. Er liebe vor allem die Barockmusik; damit meinen die meisten Johann Sebastian Bach. Die erste gekaufte Schallplatte war allerdings die „Feuerwerksmusik“ von Georg Friedrich Händel. Eine besondere Vorliebe hegt er für Monteverdi, hörte dessen „Marienvesper“ in der Elbphilharmonie, und für Klaviermusik. Hier fällt der Name Igor Levit. Seit sieben Jahren jedoch ist Johannes Vogt-Krause, der ehemalige Schulleiter aus Ebstorf, das Gesicht und derjenige, den man befragt, wenn es ums Neue Schauspielhaus, das Erbe von Reinhard Schamuhn, geht. Dass Kleinkunst nicht kleine Kunst ist, wusste der 73-Jährige natürlich schon davor, jetzt musste er sich aber plötzlich damit beschäftigen. Denn schließlich gab es beispielsweise im Jahr 2019, also vor Corona, 60 Veranstaltungen in dem kleinen Häuslein an der Rosenmauer; 5000 Besucher kommen jährlich. Das sind Zahlen, die Ehrfurcht generieren!

„Ich habe die Erfahrung gemacht“, so Vogt-Krause, „dass es unheimlich viele gute Leute gibt, die mit ihrem Können ihr Geld verdienen müssen. Ich habe begriffen, was dieses Theater ausmacht, und dass Kunst und Kultur fürs Mensch-Sein (und -Werden) etwas bedeuten.“ Ganz konkret, nicht nur in der Theorie, wo wahrscheinlich jedem schwant, um wie viel ärmer man ohne Theater, Musik und die Bildende Kunst wäre.
Comedy sei nicht so seins, gibt der Vereinsvorsitzende ehrlich zu. „Aber es gibt auch viele Leute, die sich zwei Stunden einfach nur amüsieren wollen.“ Wer wollte es ihnen verdenken angesichts des Zustands der Welt? Der quasi Vorgänger im Amt, Reinhard Schamuhn, war für Johannes Vogt-Krause „ein unbeschriebenes Blatt“. Er wusste nicht viel von ihm. Aber: „Was ich inzwischen von ihm weiß: er war ein guter Mensch, kreativ und wichtig für diese Stadt.“ (Wäre es deshalb nicht langsam an der Zeit, eine Straße nach ihm zu benennen?) Eine Einschränkung formuliert Vogt-Krause aber: „Wir können uns Schamuhns Verrücktheit nicht mehr leisten, sind aber verrückt genug, Kultur anzubieten.“ Das ist in diesen Zeiten, wo sich alles rechnen muss, wahrhaft ganz schön tollkühn!
Es ist erstaunlich zu sehen, das ergab eine Umfrage unter Besuchern des Neuen Schauspielhauses, dass diese inzwischen aus Stade, Hamburg, Hannover, Bremen oder Wolfsburg kommen! „Wir sind also auch ein Wirtschaftsfaktor“, ist sich Vogt-Krause sicher, denn „die Leute übernachten hier und gucken in die Geschäfte.“ Die Segnungen des Internets und ein gelungener, immer aktueller Auftritt mit der Homepage machen solche Erfolge möglich. Und: die Geschichte des Neuen Schauspielhauses seit Schamuhns Tod im Jahr 2013 ist ein Erfolg. Sieben Menschen arbeiten dafür im Vorstand immer an der Grenze der Selbstausbeutung. Ob ihnen mal einer der Stadtväter ein Dankeschön sagt?

Das Leben ist ja am Ende die Suche nach zwei, drei Wahrheiten, die standhalten. Zerschellt man an fremder Anmaßung? An statusgesicherter Faulheit? Es ist ein Glück, dass es solche Menschen wie Johannes Vogt-Krause (und sein Kollektiv Neues Schauspielhaus) gibt, denn die Kunst, auch oder vor allem die Kleinkunst, sind hilfreiche Begleiter. Es braucht nicht immer die großen Formate – Wahrheit und Wahrhaftigkeit kommen selten geschmettert daher. Zwar hat nicht jeder, der sich mitteilt, auch etwas mitzuteilen, wer Kunst und Kultur organisiert und vermittelt müht sich aber auf vielen verschiedenen Wegen und in zahllosen Formaten darum. Das Programm für das erste Halbjahr 2022 steht. In diesem Jahr gibt es noch viel Musik, zum Beispiel Fräulein Rika und ihren Swing-Bubi und Bidla Buh, aber auch ein Morgenstern-Programm, jüdische Märchen und Hans-Helmut Decker-Voigt mit seinen Kolumnen. Man muss Johannes Vogt-Krause keinen Elogenkranz flechten. Er besitzt die Gabe und Geduld fürs vermeintlich Unzeitgemäße: Kultur unter die Menschen zu bringen. Diese Arbeit ist Aushalten. Auch wider sämtliche Erfahrungen, dass einem eben selten einer dankt dafür.

[Barbara Kaiser]

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