Im Gespräch mit Kirsten Lühmann
Starke Frauen der Gegenwart in unserer Region
Rückblick –Chancengleichheit für Frauen?
Wir leben hier und heute in einer Gesellschaft, in der für uns Frauen alles möglich ist. Oder etwa nicht? Wir dürfen seit 1919 wählen und seit 1958 ein eigenes Bankkonto führen. Was für ein unglaublicher Fortschritt? Unglaublich ist eher, dass noch bis Juli 1958 ein Ehemann einen Anstellungsvertrag seiner Frau nach Lust und Laune und ohne deren Zustimmung fristlos kündigen konnte. Unvorstellbar, dass bis1977 eine Frau in Westdeutschland nur berufstätig sein durfte, wenn das „mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar“ war. Erst 1977 trat das erste Gesetz zur Reform des Ehe-und Familienrechts in Kraft. Demzufolge gibt es keine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenteilung in der Ehe mehr, und wir dürfen auch in sogenannten Männerberufen (?) arbeiten. Wir können Betonbauingenieur*in oder Kanzler*in werden, Künstler*in, Sportler*in oder, oder, oder … Oder auch nicht. Wir dürfen uns auch für oder gegen eine Familiengründung entscheiden. Es gibt -theoretisch -keinerlei Probleme Karriere und Kinder miteinander zu vereinbaren. Genauso bleiben wir auch als unverheiratete und kinderlose Frauen vollkommen gesellschaftsfähig. Und wenn sie nicht gestorben sind, werden einesTages Frauen und Männer bei gleicher Leistung sogar gleich bezahlt.
Ob aus dem eigenen Willen heraus oder anfangs aus purer Notwendigkeit: In der Historie hat es von Anfang an wegbereitende Frauenpersönlichkeiten gegeben, die uns auch heute noch inspirierende und Mut machende Vorbilder zu sein vermögen. So ist u.a. auch Uelzen -dank Landhandelsfrau Henriette Präsent (1782 –1856) –frauenORT* Niedersachsen geworden.Es gab und gibt viele Frauen, die Großartiges geleistet haben. Über die Frauen in der Historie können wir nachlesen, doch die Frauen in der Gegenwart können wir direkt fragen:Wie habt ihr das geschafft? Wie schafft ihr das? Wie können wir das schaffen?Es hilft, voneinander zu wissen -und von der Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen. „… Weil wir Frauen Netzwerke brauchen, die uns unterstützen, wenn wir für uns eine Entscheidung getroffen haben. Wir benötigen neben der Familie auch externen Zuspruch …“,betont Kirsten Lühmann (Polizistin, Politikerin, verheiratet, 3 Töchter, 6 Enkel …). Eine Frau, die mit gutem Beispiel vorangeht und uns Inspiration und auch Ideengeberin für eine neue Artikelreihe ist.
Sportlich, bodenständig, ungeschminkt, nah an den Menschen: Sie ist mit dem Zug nach Uelzen gekommen und die Strecke vom Hundertwasserbahnhof bis zu unserem Treffpunkt -Unser kleines Stadtatelier -zu Fuß gegangen. Im Gepäck -als Begrüßungsgeschenk -eine große Packung frische, bunt gemischte Eier. „Von unseren Hühnern.“ Natürlich von glücklichen Hühnern. Kirsten Lühmann ist sich unserer Verantwortung für Mensch und Tier, für Natur und Umwelt mehr als bewusst. So sind wir gleich im Thema. Sagt Kirsten Lühmann doch auch:
„Du hast eine Verantwortung für andere, und du hast eine Verantwortung für deine Überzeugung.“
Für unser Gespräch wählt sie den Sessel am Schaufenster neben der gläsernen Eingangstür. Auch das passt. Dreht es sich in dieser Artikelreihe doch auch um die Sichtbarkeit von starken Frauen. Kirsten Lühmann ist sichtbar, sie sieht hin und nicht weg. So ist sie sowohl als Mensch als auch als Politikerin interessant und interessiert.Ich frage viel, bekomme ehrliche Antworten, fühle mich als Interviewerin wahrgenommen und merke immer wieder: Kirsten Lühmann hat viel zu sagen, gerade weil sie zuzuhören vermag. Sie fragt mich genauso viel, wie ich sie. Und zeigt sich uns dabei als Frau, der nicht nur die Menschen vertrauen. So macht es sich Atelierfropsfräulein** Pfiffigenie während des gesamten Gesprächs auf ihrem Schoß gemütlich. Ein Vertrauensbeweis, wie er nicht größer sein könnte. Steht doch Pfiffigenie nicht zur Familie gehörigen Menschen sonst eher misstrauisch gegenüber.Emotionale Intelligenz, soziale Kompetenz und somit ein untrügliches Gespür für Menschen und Situationen. Kirsten Lühmann spricht und geht viele Ungerechtigkeiten an. Sie setzt Themen und versteht es, Kontakte zu nutzen. Auch für die Gleichstellung von uns Frauen.
… 1983 nach dem Abitur den Dienst in Hannoversch Münden angetreten. In der Polizeischule, in der auch ihre Großväter ausgebildet wurden …Gleichstellungsbeauftragte der Deutschen Polizeigewerkschaft
… 2009 –2021 SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Celle-Uelzen … in Berlin verkehrspolitische Sprecherin der SPD Bundestagsfraktion … Würde ich alles aufzählen, was Kirsten Lühmann in ihrem Leben bereits erreicht hat (s. Internetseite*** Kirsten Lühmann), die Zeilenzahl hier hätte nicht genügt.
Das ist doch nichts für eine Frau
Frauen in meinem Alter sind zumeist in vom traditionellen Rollenverhalten geprägten Familien aufgewachsen. Unser Streben nach einer Berufsausbildung oder einem Studium galt zwar bereits als „normal“, aber ich musste zuerst einen „anständigen“ Beruf lernen, den ich am Tag der bestandenen Abschlussprüfung gekündigt habe, um mich auf meinen eigenen Weg machen zu können. Bis heute gelte ich als das schwarzbunte Schaf der Familie. Kirsten Lühmann ist mutiger gewesen als ich und hat sich damals heimlich bei der Polizeischule beworben. Polizistin – damals alles andere als ein Frauenberuf.
„Wenn du dich damit wohlfühlst, dann mach das. Tu es auch für dich. Es muss dir Spaß machen können. Auch gibt es keine natürlichen Gründe, die für das Festhalten an überkommenen, alten Rollenbildern sprechen.“
Die Nächste bitte
Die Menschen in unserer Region sind die passende Überleitung.Wir haben uns umgeschaut: Wer, wo und wie sind und wirken Frauen von heute in unserer Region? Allein in den Hauptstraßen Uelzens sind viele starke (Geschäfts)Frauen am Werk, und es gibt überall viele starke Frauen, die eher im Verborgenen tätig sind und vielleicht genau deshalb öffentlich vorgestellt werden sollten. Wie entscheiden, wen wir als Nächste vorstellen möchten? Keine leichte Wahl. Darum haben Kirsten Lühmann sowie meine Lieblingsverlegerin und Barftgaansherausgeberin Eva Neuls (auch so eine starke Frau) und ich gemeinsam entschieden: Jede zum Thema Interviewte darf mehrere Vorschläge machen, wer als Nächste dran sein könnte. Die ausgewählte Gesprächspartnerin überlegt dann, wie sie vorgestellt werden möchte und was ihr besonders am Herzen liegt. Was sie uns mit auf den Weg geben möchte oder schon immer mal kundtun wollte.
Generationenübergreifend
Kirsten Lühmann und ich sind altersmäßig nicht weit auseinander. Ich erkenne vieles wieder, wenn sie von den Herausforderungen auf ihrem Lebensweg berichtet. Doch was denken die Jüngeren, wenn sie ihr zuhören? Was denken Frauen, die aus einem anderen Kulturkreis kommen? Während unseres Interviews sind meine ehrenamtliche Assistentin Ronja Junk (Ende 30, Assistentin Emofotologie, Projektleiterin Junge Selbsthilfe Uelzen, im Beirat für Menschen mit Behinderungen) und unsere aus Afghanistan stammende Praktikantin Faro Nasri (Mitte 20, Fachoberschule Gestaltung) auf Hörweite dabei und bekommen von daher auch die Gelegenheit, mit unserem Gast zu sprechen. Die beiden erleben Kirsten Lühmann dabei zum dritten Mal. Im Oktober 2021 zuerst noch im Bundestagsbüro in Berlin, wohin wir mit unserem Team gereist waren, sowie einige Tage danach im Uelzener Rathaus.
O-Ton Ronja: „Nach den Vorträgen von Kirsten Lühmann und ihrer Tochter im Rathaus habe ich zuerst fast Minderwertigkeitskomplexe bekommen. Doch dann haben beide Frauen mich nur noch motiviert. Es stimmt: Wenn ich realistisch träume, mich entscheide und etwas unbedingt schaffen möchte, mein Bauchgefühl nicht ignoriere und meinen Humor nicht verliere, dann erreiche ich meine Ziele.“
O-Ton Faro: „Sie ist ein Vorbild. Ich habe Respekt vor Frau Lühmann. Sie ist klug und stark. Doch auch so freundlich und bodenständig. Sie hat mir zugehört und auch meinen Brief gelesen und mir geantwortet. Und sie hat wunderschöne Haare.“
Apropos: Hundehaare auf der Hose von Kirsten Lühmann? Kein Problem. Die werden mit der Hand abgebürstet und schon macht sie sich wieder zu Fuß auf zum Bahnhof. Kirsten Lühmanns Weg ist noch lange nicht zu Ende.
Und wer ist nun ist die Nächste?
Wen Kirsten Lühmann für das nächste Starke-Frauen-Interview vorgeschlagen hat? Das lässt sich in der nächsten neuen Barftgaans-Ausgabe nachlesen.
Und sonst so? Am Ende des Gesprächs war nur eine unzufrieden. Pfiffigenie, die auf dem Schoß leise schnarchend eingepennt war und geweckt werden musste. Die Aussicht auf eine Gassirunde gemeinsam mit Kirsten Lühmann sorgte allerdings augenblicklich für beschwingtes Gewedel. Ich weiß nicht, wer auf unserem Weg durch die Stadtmitte öfter freudig begrüßt worden ist: Pfiffigenie oder Kirsten Lühmann. Und so darf es nicht verwundern, dass hier abgebildet nun beide gemeinsam zu sehen sind. Mal sehen, ob unser Teammitglied Pfiffigenie es eines Tages schafft, auch noch zu Kirsten Lühmann in den Bundestag zu gelangen.
[Brigitte Schulz]
* frauenORTE Niedersachsen ist eine 2008 gestartete Initiative des Landfrauenrates Niedersachsen e.V. Sie zeichnet das Leben und Wirken bedeutend gewordener Frauen öffentlichkeitswirksam nach.
Nähere Informationen: www.frauenorte-niedersachsen.de
** Frops = Französische Bulldogge x Mops
*** www.kirsten-luehmann.de