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Feuilleton

Eine Bühne für Kultur

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Wie Ebstorf zu einem Kleinod kam

Wenn man 70 ist, muss man sich nichts mehr beweisen. Schon gar nicht, wenn man beruflich erfolgreich war. Deshalb kann der folgende Satz hier so stehen bleiben: „Es hat nichts mit Eitelkeit zu tun, das müssen Sie mir einfach glauben.“ Der ihn sagt, ist Professor Norbert Schmedtmann, Initiator, Gründer und Vereinsvorsitzender der „Kulturbühne Altes Lichtspielhaus Ebstorf“. Eine kleine aber feine Einrichtung, die sich in den letzten drei/vier Jahren gemausert und auf die Liste der Kultur anbietenden Orte im Kreis geschoben hat. Als Konkurrenz haben andere Mitbewerber sie offenbar noch nicht empfunden – was auch töricht wäre, weil die Auswahl an Orten für Musik und Theater nicht groß genug sein kann, weil durch Abgrenzung Kultur zu machen dumm ist. Und am Ende hat sowieso jeder seine eigene Klientel, sein Stammpublikum.

Nein, auch Ehrgeiz sei es mit Sicherheit nicht, beteuert Schmedtmann im Gespräch, nach den Motiven für sein Tun befragt. Es sei einfach die Freude an der Musik, so der passionierte Cellospieler, Zahnmediziner und Kieferchirurg i.R. „Viele Dinge in meinem Leben sind mir einfach so zugefallen“, erklärt er. So auch das Gebäude in seiner Nachbarschaft. Das war im Jahr 1951 als Kino gebaut worden. Später wurde es von der Gemeinde zur Mehrzweckhalle umgestaltet, mit der viele ein Dach überm Kopf hatten. Der Heimat- und Kulturverein Ebstorf zum Beispiel. Kino, Theater und Vorträge fanden immer noch statt. Als der zunehmende Sanierungsbedarf den Haushalt des Klosterfleckens zu sprengen drohte, wurde das Haus verkauft – und verfiel zusehends. Im Jahr 2003 kaufte es Schmedtmann; es taugte zur Praxiserweiterung seiner Klinik, der Saal wurde zum Vortragsraum, dessen innovative Technik auch die Liveübertragung von Operationen ermöglichte. Noch einmal eineinhalb Jahrzehnte später, im Jahr 2017, gründete sich der Verein „Kulturbühne Altes Lichtspielhaus“ als ein Forum für (vor allem junge) Künstler (nicht nur der Region) und es ging steil bergauf. Mit der Anzahl der Veranstaltungen ebenso wie mit deren Qualität. Ambiente und Atmosphäre stimmen.

„Ich wünsche dir – wie mir selber und uns allen – ein bißchen mehr Klarheit über die eigene Konfusion, ein bißchen weniger Angst vor der eigenen Angst, ein bißchen mehr Aufmerksamkeit, Respekt und Bescheidenheit vor dem Unbekannten. Dann werden wir weitersehen.“ Das schrieb Hans Magnus Enzensberger im Jahr 1982 in einem Brief. Es scheint ein Wunsch, den auch Norbert Schmedtmann empfangen haben könnte: Er hat sich entschieden, nicht nur zu konsumieren und dabei in den alt ausgetretenen Pfaden zu bleiben. Er hat sich, auch wenn die finanziellen Mittel für den erfolgreichen Zahnarzt nicht die größte Hürde gewesen sein dürften, aufgemacht und ein kulturelles Angebot geschaffen. Auch eins des „Unbekannten“, wie es Enzensberger nannte, denn im August des letzten Jahres gastierte zum Beispiel das Duo Mathias Bozó und Hesam Asadi. Das ist kulturelles Miteinander vom Besten.
Inzwischen arbeitet ein Vereinsvorstand, den Schmedtmann mit wahren Lobliedern preist, am Programm. Es ginge harmonisch zu, so der Vorsitzende, man arbeite Hand in Hand, die Chemie stimme und es gäbe keine Missgunst. Im „Lichtspielhaus“ werden vom NDR auch Veranstaltungen aufgezeichnet und häppchenweise gesendet. Man hat einen eigenen Youtube-Kanal, ist sogar seit Januar Trauzimmer.
Der Mensch will unterhaltsam gebildet sein, nicht trickreich und laut für dumm gehalten werden, wie es täglich durchs Fernsehen passiert. Im „Alten Lichtspielhaus“ passen Unterhaltung und Bildung zusammen, obgleich Norbert Schmedtmann bedauert, dass es ihm bis jetzt nicht gelungen sei, junge Menschen für die klassische Musik zu begeistern. Dieses Scheitern hat schon andere ratlos gemacht. Aber: Niederlagen geben zu denken, weil sie einen hindern, einfach so weiterzumachen. Und so ist es folgerichtig, dass im kommenden Juni ein Mitmachkonzert für Groß und Klein im Programm steht!
Was wir Zeit nennen, ist Frist. Und an den meisten Dingen sind wir ja nur durch Meinung beteiligt, nicht etwa durch Wissen oder gar Übersicht. Professor Norbert Schmedtmann versucht Tätigkeit, und das mit bis jetzt faszinierendem Erfolg. Denn die KünstlerInnen kommen alle gerne, sagt er. Das obligatorische Wort von der „Familie“ fällt nicht, aber man sei mit vielen inzwischen befreundet und per Du. Auch das sagte nichts über die wirklichen Verhältnisse, aber wenn viele der Auftretenden „Wiederholungstäter“ sind, muss etwas dran sein an der beschworenen Harmonie. Daran, dass man über eigene Gewissheiten hinaussieht, Begegnungen sucht, auch welche, in denen man sich nicht sofort selber wiedererkennt und nur spiegelt. „Dem Leben einen Sinn geben, den der Tod nicht vernichtet“, wünschte sich Lew Tolstoi. Mit so einer Kulturbühne ist man durchaus auf dem richtigen Wege. Das bestaunen Außenstehende, und auch der Gründer selber empfindet, so scheint es, eine beinahe kindliche Freude über so viel Gelingen.

[Barbara Kaiser]