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Ein Matriarchat 2.0?

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Der Versuch einer positiven Deutung von überforderten Frauen, Männern auf Identitätssuche und Kleinkindern mit Auffälligkeiten

Barbie lebt in ihrem letztjährigen Film in einem pinken Plastik-Matriarchat – und vereint damit das Mädchenhafte mit dem Machtvollen. Hier bei uns im ländlichen Niedersachsen sind matriarchalische Strukturen direkt an den Giebeln einiger Häuser abzulesen: Sehen sich die Pferde an, so wurde das Haus von Mutter zu Tochter vererbt; schauen die Pferde voneinander weg, von Vater zu Sohn. (Weiß man einmal um diese Deutung, lädt sie zum Bemerken ein.)
Aber was hat es mit dem Matriarchat eigentlich auf sich? Als Übersetzungen für „Matriarchat“ finden sich oft „Frauenherrschaft“, „Frauenrecht“ oder auch „Frauenlinie“. Eine Gesellschaftsordnung ist gemeint, in der die Rechte und Pflichten der Frau die externen Lebensbereiche betreffen. Sie verwaltet das Hab und Gut, repräsentiert nach außen, trifft Entscheidungen. Er zieht sich nach innen zurück, übernimmt die weniger angesehenen Aufgaben, ist das Passive. Seine Stellung ist prekär, ihre gesichert. Oder wie Barbie es erklärt: „Im Grunde tun Frauen in unserer Welt alles, was Männer in eurer Welt tun“.
In der feministischen Literatur scheiden sich die Geister: Einige Autorinnen, die berühmteste von ihnen vielleicht Adrienne Rich (Of Mothers Born), leugnen, dass es in unseren Kulturkreisen jemals so etwas wie eine länger waltende Herrschaft durch Frauen gab. Andere Autorinnen und auch Autoren (Bachofen oder Briffault) sehen das einstige Matriarchat als friedvolle Urform noch spurenhaft unsere heutige Gesellschaft durchziehen (etwa in der gerade nahenden und den weiblichen Mond symbolisierenden, ja biologisch unsinnigen Kombination aus Ei und Hase zu Ostern). Als faszinierendes Lesewerk möchte ich hierfür Mütter und Amazonen anführen, welches Bertha Eckstein Diener unter dem Pseudonym „Sir Galahad“ 1932 (!) veröffentlichte, und welches mit den Worten „Dies ist die erste weibliche Kulturgeschichte“ beginnt.
Geschichtlich wird das Ende des Matriarchats ca. dem Beginn unserer Zeitrechnung zugeordnet, wobei zwei Aspekte konkret als ausschlaggebend angesehen werden: die Durchsetzung des vaterrechtlich-strukturierten römischen Reiches und die Verbreitung des Christentums und seiner Strukturen. Das dem Römischen nur knapp vorgelagerte und oft modellhaft dienende Griechische wird auch bei Diener als Zeit des Wandels begriffen (mit der Einverleibung des griechischen durch das römische Reich ca. 30 v. Chr. endete das sog. „hellenische“ Zeitalter), in der sich Übergangsphänomene bildeten: Frauen begannen schmächtige Männer bei ihren Opferriten zu verschonen (und wurden dafür noch bestraft) und stellten sich langsam auf die Seite des Männlichen (allen voran Athene, die Vaterstochter).
Dass sich unsere Rollenbilder und damit auch unsere Gesellschaft als Ganzes derzeit in einem Wandel befinden, erachte ich als Fakt. Die Frage, die ich mir stelle, ist: In welcher kulturgeschichtlichen Phase befinden wir uns gerade? Die „neue“, sich pflegende, kümmernde, gesprächige Männlichkeit ist in aller Munde, ebenso wie „female empowerment, entrepreneurship, investment“. Nach über 2.000 Jahren Patriarchat wird der Mann weicher und die Frau rückt ins Externe. Sind wir also, ähnlich wie die Griechen damals, in einer Übergangsphase – nur, dass wir den Wechsel in die andere Richtung erleben als die Griechen damals?
Sollten wir also Nachsicht walten lassen, wenn Frauen unter dem „Mental Load“ von Zuhause plus Job leiden, und unter dem Mantel des Feminismus weiter mediales Fleisch-Zeigen betreiben? Wenn Männer wie Ken (wieder in Barbie) auf die Suche nach neuen Identitäten gehen (um final Hoodies zu tragen mit der Aufschrift „I am kenough“)? Und wenn Kleinkinder paradoxerweise entweder ohne oder in Acht-Stunden-Betreuung immer früher Konzentrationsschwächen und Aggressionspotenziale entwickeln? Sollten wir diese Phänomene als Schmerzen des Wandels verbuchen, sie also nicht missbilligen sondern gar für ihre Widersprüchlichkeit zelebrieren?
Bewegen wir uns also hin zu einer Art „Matriarchat 2.0“? Und wenn ja, wie wollen wir dieses gestalten? Viel Feminismus tendiert zur Erhöhung der Frau als Sinnbild für das Gutmütige, Bewahrende – und bleibt damit doch im alten Bild der Frau hängen. Ich denke, ein Matriarchat 2.0 kann nur dann wirklich Besserung bedeuten, wenn es ihm gelingt, jegliche auf Dualismen (Mann/Frau, Erwachsener/Kind, Mensch/Tier, Kultur/ Natur, gut/böse, etc.) gründende Hierarchie hinter sich zu lassen. Neue Begriffe werden wir brauchen. [Swantje Martach]

Zur Person
Dr. Swantje Martach promovierte in Philosophie an der Autonomen Universität Barcelona und der Universität der Künste London zur Thematik des Kleidens als besondere Art der Mensch-Ding Beziehung. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Universität von ­Preschau (Slowakei) landete sie vor zwei Jahren mit Mann, Hund und nun zwei Kindern im schönen Natendorf, genießt seither das Landleben und lehrt von hier aus an der Akademie für Mode & ­Design in Wiesbaden. Zu finden ist sie auch auf ­Instagram: @swantjemartach.

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