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Fließende Melodien

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Hugo-Distler-Ensemble eröffnet St.-Marien-Sommerkonzerte unter dem Titel „Panta rhei“

Meist hat es der Erste, der anfangen muss, schwer. Nicht so die Akteure für das erste St.-Marien-Sommerkonzert, das Hugo-Distler-Ensemble aus Lüneburg. Die rund zwei Dutzend Sängerinnen und Sänger bestritten den Auftakt für 2023. Es ist wunderbar zu sehen, wie die Reihen in der Kirche schon an diesem ersten Tag der Konzertreihe gefüllt waren. Bis zum 26. August wird es jetzt an jedem Samstag heißen: Termin 16.45 Uhr, St. Marien.

Und so hatten der Leiter des Ensembles, Kantor Erik Matz, und sein Chor quasi ein Heimspiel. Sie stellten ihr Konzert unter das Motto „Panta rhei“ – Alles fließt – womit man nichts falsch machen kann. Denn neben der Lebenszeit fließen das Wasser und die Melodien und die Gefühle, die besungen wurden. Alles hat eben seine Zeit. Um daran zu erinnern, erklang von Orlando di Lasso das „Omnia tempus habent“, die Motette für zwei achtstimmige Chöre, die die tröstliche Schlusszeile beinhaltet: „Tempus belli et tempus pacis“ – Der Krieg hat seine Zeit, aber der Frieden genauso. Erst recht, möchte man hoffen. Angesichts dieser Gegenwart ist das wichtig….

Das Hugo-Distler-Ensemble suchte sich für sein Programm Noten durch die Jahrhunderte. Zwischen dem erwähnten Orlando di Lasso – 16. Jahrhundert – Johann Sebastian Bach und dem 1970 geborenen Eric Whitacre. Dessen „Alleluia“ hatte einen Hauch von gregorianischem Gesang, wurde außerordentlich ausdrucksstark dargeboten, mit einem schwebend-sphärischen Sopran und samtweichem Fine-Ton.

Fröhlich, überzeugt und überzeugend dann Bachs Motette „Lobet den Herrn, alle Heiden“. Die Verbeugung vor eben diesem Giganten von Knut Nysted (1915 bis 2014), „Immortal Bach“ (Unsterblicher Bach) war eine Entdeckung. Das kleine Ensemble spaltete sich in sechs (!) vierstimmige Chöre und man meinte, die Töne kämen von überall her. Sogar die Orgel glaubte man zu hören, dabei saß überhaupt keiner auf der Empore! Ein unglaublicher Eindruck.

Mit John Dowland, Hugo Alfvén und Hugo Distler wurde es weltlicher, denn man sang von den Freuden und Leiden der Liebe. „Come again“ heißt es bei Dowland, „to see, to hear, to touch, to kiss“. Der Mann lebte in der sinnenfreudigen Shakespearezeit, da erklärt sich diese Aufforderung. Aus Eduard Mörikes Chorliederbuch dann „Nimmersatte Liebe“ und „Zum Tanze da geht ein Mädel“.

Der Chor fand von Beginn an zu seiner beeindruckenden Gesamtleistung. Jeder bewegte sich in der Vielstimmigkeit der Kringel, Koloraturen und dem Fugato eines Bach sicher, da klappte nichts nach am Ende. Mit großer Einsatzfreude und Energie verliehen alle ihrer Stimme angemessene Trauer oder Ausgelassenheit, je nach Partitur. Das Ensemble kannte keine Schwäche, stimmlich so wenig wie in Konzentration des oft komplizierten Musizierens.

Geboten wurde der eindrucksvolle musikalische Cluster „Love`s tempest“ eines Edward Elgar (1857 bis 1934) und die stille, gedankenvolle Meditation von Sven David Sandström (1942 bis 2019) samt seiner Aufforderung „To see a world“. Die Welt zu sehen, die sich in einem Tropfen oder einem Sandkorn komplex spiegelt.

Ehe man noch einen Gedanken verschwenden mochte, ob ein Sommerkonzert nicht vielleicht ein bisschen heller und aufgekratzter enden darf, hob Erik Matz den Taktstock zu „Horch, was kommt von draußen rein“.  Die meisten im Publikum konnten die besungene Unbeständigkeit der Männer sicherlich mit Humor nehmen. Dieser letzte Vortrag eines souverän aufgestellten Chores, der flexibel und bestechend deutlich agierte, schickte der das Publikum in den Samstagabend.

In einer Woche, am Samstag, 08. Juli 2023, ist der Organist Christoph Schoener aus Hamburg, ein guter alter Bekannter, zu Gast. Er musiziert „Mozart pur“.

Barbara Kaiser – 02. Juli 2023