Wie entstehen die Bilder? Die für diese Reihe in einer einwöchigen Session, in der über 40 Porträts gemacht wurden. „Wir wollten den Darstellern die Bühne zurückgeben“, erklärt Quast. Als Fotograf möchte er sich von seinen Protagonisten überraschen lassen. Er bleibt meist der Beobachtende. „Bei Tänzern klappt das am besten“, ist er sich sicher. Mit den anderen arbeite man gemeinsam, bis ein gutes Bild im Kasten ist.
Auf diese Weise ergaben sich Fotos, die individuelle Protokolle sind. Auch über persönliche Befindlichkeiten sprechen. Die aber genauso, weil in ihrer Schönheit eine Kraft liegt, einen vom Bild abweichenden Gedanken zu zünden in der Lage sind. Ein Foto sei die Konservierung des Scheins, der nie trügt, sagte Oscar Wilde. Von ihm gibt es ja das bekannte Bild als Dandy, der er ohne Zweifel war.
Fühlten sich die von ihm Fotografierten auch schon einmal denunziert oder bloßgestellt? Das frage ich Jochen Quast im Gespräch, und die Antwort zeugt auch vom Vertrauen, das er zu seinen Menschen aufbaut, die sich vor die Kamera trauen: „Natürlich kämpfe ich auch für meine Bilder, aber wenn einer gar nicht damit zurecht kommt, kann ich es auch zurücknehmen.“ Übrigens macht ihn die Behauptung, einer sei nicht fotogen, so richtig an, fordert ihn heraus. Und man glaubt seinem Enthusiasmus, dass von jedem, wirklich jedem, eine schöne Seite auszustellen ist. Daraus ergibt sich die Frage nach der Bearbeitung der Bilder von selbst. Quast leugnet sie nicht. Aber er bearbeite meist nur in dem Sinne und oft nur mit Licht, dass deutlicher wird, was er zeigen will.
So begegnet der Betrachter in der Ausstellung zum Beispiel dem Tänzer Filippo, dem die Pose offenbar überhaupt nicht schwer fällt. Dem Schauspieler Gerhard scheint man seine Gänsehautstimme anzusehen; auf die er sich als Handwerkszeug verlassen kann, er braucht keinen Schnickschnack. Wie zum Beispiel sein Kollege Michael, der in eine Eisenstange beißt. Vielleicht hat er zu viel Energie angesammelt im Lockdown, oder er ist einfach nur wütend. Oder ein Clown. Und dann ist da noch Anna. Sie steht für das magischste Foto, das auch ein gemaltes Werk von Gerhard Richter sein könnte. Diese junge Frau blickt einem mitten ins Herz. Nicht so selbstbewusst wie andere, eher scheu. Aber vielleicht ist es auch die Demut – vor den vielen Dichtern. Denen sie ja mit ihrem Beruf eine Stimme gibt.
Alle Porträtierten schauen den Betrachter auch an – aber bei Anna ist es anders. Auch weil hier der Fotograf dieses Alltagsbild vielleicht am gelungensten verdichtet hat durch sein Wissen um größere Zusammenhänge oder authentische Vorgänge? Und um seine Emotion? Es ist eine sehenswerte Ausstellung!
Barbara Kaiser – 11. Juli 2021