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Feuilleton

Ein buntes Bukett – Bücher, Bücher, Bücher

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Was habe ich nicht alles gelesen, seit ich an dieser Stelle Anfang November die Seite füllte! Schließlich war auch Lockdown und andere Kultur jeglicher Art gestrichen. Konzerte verschoben. Die von mir mit Spannung erwartete „Iphigenie“ des Theaterrings fiel gleich zwei Mal aus. Die Winterpremiere in Bostelwiebeck genauso.
Aber die Bücher – die blieben jedem. So habe ich den fünften Teil der Barbarossa-Saga von Sabine Ebert abgehakt. Insgesamt 3.000 Seiten, die sich lohnen, weil sie gelebte Geschichte beschreiben. Und angesichts der Mühen und Plagen der Menschen von vor über 800 Jahren verkleinert sich doch so manches Problem heutiger Tage. Ebert rollt die Story ­uneitel, nie simpel, in großer historischer Präzision und lebendiger Sprache auf. Das liest man mit Gewinn und Staunen!

Auch das neue Buch von Sigrid Damm, das die Autorin sich und uns anlässlich ihres 80. Geburtstages zum Geschenk machte, verdient fünf Sterne: ­„Goethe und Carl August – Wechselfälle einer Freundschaft“ lautet der Titel. Es ist Damms Stärke, dass sie Originaltextstücke mit ihrer Erzählung verquickt, trotzdem aber einen flüssigen Text zustande bringt. Auf rund 300 Seiten lässt sie den Weimarer Herzog auf seiner (letzten) Reise nach Berlin im Jahr 1828 die Höhen und Tiefen einer ungleichen Beziehung imaginieren. Die er als 18-Jähriger mit dem berühmten, acht Jahre älteren Dichter des „Werther“ begann, den er gegen alle Widerstände in Regierungsgeschäfte einband, ja, sie ihm gerne überließ. Den er außerdem zu bestrafen wusste, als dieser „unter seinem Stand“ in der Beziehung zu Christiane standhielt, mit dem er sich privat wie politisch immer wieder in die Quere kam, beispielweise über Napoleon. Es ist eine klug komponierte, dichte Erzählung über einen Fürsten und seinen Dichter – mit dem sich der Herrscher bei mancher Gelegenheit auch schmückte. Sigrid Damm erzählt nur das, was sich belegen lässt, offene Fragen lässt sie als solche stehen. Es bleibt über die Jahre trotz aller Vertrautheit eine ungleiche Beziehung, die auch Missverständnisse, Verstimmungen und Ärgernisse einschließt. Ihre Beschreibung erhellt die Weimarer Klassische Epoche weiter.
Im Jahr 2020 kam an Ludwig van Beethoven keiner vorbei, obgleich die verdiente Jubelfeier zu seinem 250. Geburtstag der Pandemie zum Opfer fiel. Aber in sechs Jahren gibt es die Gelegenheit zum Nachholen: den 200. Todestag im März 2027. Bis dahin kann man auch eine der unzähligen Publikationen und Einspielungen zur Kenntnis nehmen. Friedrich Dieckmann zum Beispiel hat sieben glänzende Essays versammelt. „Beethoven und das Glück“ ist das Bändchen benannt. Darin schreibt er anhand der Coverzeichnung (von Moritz von Schwind) über Beethovens Erscheinung und natürlich seine Musik. Die Kreutzersonate zum Beispiel oder die letzten opera 110 und 111, die Klaviersonaten. Dieckmann räsoniert über Kunst und erzählt doch auch Geschichtsläufe. Als kluger, wissender Essayist geht er dennoch immer wieder als Suchender durch die Partituren dieses Genies. Seine Sprache ist, wie die Musik, genau und poetisch. Der Komponist sah seine Musik als „Ermächtigung des Einzelnen gegenüber der Konvention“ und hat sich immer auch so verhalten. Es hat schon seinen Grund, warum diese Noten rund 500 Millionen Jahre lang im All kreisen, zu den „Voyager Golden Records“ gehören, Außerirdischen von der Schaffenskraft der Erdlinge zeugend lange nach deren Untergang – so die denn ein passendes Abspielgerät ihr Eigen nennen sollten.

Zeitlich ganz anders verortet ist Justin Steinfelds „Ein Mann liest Zeitung“. Steinfeld, geboren 1886, Journalist, Herausgeber einer Wochenzeitung und Mitbegründer eines Theaterkollektivs, gelingt nach seiner „Schutzhaft“ im KZ Fuhlsbüttel 1933 die Flucht nach Prag. Später gelangt er über Polen nach England, wird 1935 von den Nazis ausgebürgert. Auf der Britischen Insel, wo er bis zu seinem Tode 1970 lebt, verfasste er seinen Roman. Der ist ein Gleichnis, die Beschreibung persönlichen Schicksals. Das Buch ist voller Bekenntnisse, mit Sarkasmus aufgeschrieben, um nicht der Verzweiflung zu erliegen, die das Leben als Exilant, in einem Kaffeehaus sitzend und Zeitung lesend, mit sich bringt. Im Jahr 1984 wurde der Roman posthum erstmals veröffentlicht, jetzt wurde er neu aufgelegt und verdient Beachtung!

Natürlich habe ich mich bei den Büchern – es sind viel mehr als hier beschrieben – auch verkauft. Bei der neuesten Publikation von Elena Ferrante zum Beispiel („Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“), die das Feuilleton hochleben ließ mit ihrer vierbändigen Neapolitanischen Saga. Ich komme langsam zu dem Schluss, dass sich hinter dem Pseudonym vielleicht ein Mann verbirgt, der sich an seinem Frauenbild abarbeitet. Oder mit dem niederländischen Erstling der noch nicht 30-jährigen Marieke Lucas Rijneveld („Was man sät“), die den Niedergang einer Familie nach dem Unfalltod des ältesten Sohnes in düsteren Bildern malt. – Bücher schreiben sich ins Hirn oder richten sich im Herzen ein. Oder beides. Von den 70 bis 80 000 Neuerscheinungen pro Jahr kann man sowieso nur ein Bruchteilchen zur Kenntnis nehmen…
[Barbara Kaiser]