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Die Sorge ist berechtigt

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Foto: Neuls

„Völkische“ Landnahme in unserer Region

„Ich kann Ihre Sorge nicht verstehen. Diese Menschen sind doch absolut friedlich und tun niemandem was.“ Zitat aus einem Brief an Martin Raabe, Sprecher der Gruppe „beherzt“, der auf Einladung des Heimat- und Kulturkreises Ebstorf im bis auf den letzten Platz besetzten Refektorium des Klosters Ebstorf einen aktuellen Vortrag zur „Völkischen Landnahme und gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ vor einem äußerst interessierten Publikum gehalten hat. – Und klar feststellt, die Sorge, die auch den Verein dazu bewogen hat, zum Vortrag der Gruppe „beherzt“ einzuladen, ist berechtigt. – Der Briefschreiber dazu: „Die Kinder sind wohlerzogen, die Mädchen machen noch einen Knicks, die Jungen noch einen Diener …“, die Mütter kümmern sich vorbildlich um die Kinder – alles nett und ordentlich. Ein Familienbild, das wir aus „Nazi-Deutschland“ kennen, ein Frauenbild, das heute in den Sozialen Medien vor allem über TikTok unter jungen Männern verbreitet wird. Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl erklärt auf TikTok: „Echte Männer sind rechts, echte Männer haben Ideale, echte Männer sind Patrioten, dann klappt es auch mit der Freundin.“ Aber wer ist eigentlich gemeint mit den „Völkischen“ oder den „Völkischen Siedlern“? Eine echte Gruppierung sei das nicht, erklärt Martin Raabe, sondern ein Oberbegriff für Gruppen, die ein nationalistisch und rassistisch geprägtes Menschenbild vertreten. Unser Landkreis ist typisch ländlich: Viele kleine Dörfer, die oftmals eine gute Dorfgemeinschaft pflegen, in denen Vereine und Verbände das Gemeinschaftsleben bestimmen. Feuerwehr, Sport- und Schützenvereine – Zusammenhalt, Hilfestellung, Verantwortung und Feierlichkeiten. Eine gute Dorfgemeinschaft ist Gold wert, der Dorffriede eines der höchsten Güter in der Dorfgemeinschaft. Aber was passiert, wenn dieser Friede gestört wird, wenn Menschen mit rassistischen, antisemitischen, deutschnationalen Aussagen beim Vereinstreffen, auf dem Dorffest oder in der Feuerwehr auf sich aufmerksam machen? – fragt Raabe seine Zuhörer:innen.
Für diese Frage hat der Abend keine Generallösung, aber bietet einen Einblick in die Welt, das Denken und die Strategien der „Völkischen“, zu denen auch die AfD, Die Rechte, die NPD und „Die Heimat“ als Parteien gezählt werden, ebenso wie bestimmte Gruppierungen, z.B. die „Identitäre Bewegung“, das Reichsbürger-Netzwerk „Volksgruppe Indigenes Volk der Germaniten“, die „Ludendorffer“, die sich jährlich in Dorfmark im Nachbarlandkreis Heidekreis treffen …
Martin Raabe und die Gruppe „beherzt“ haben in den letzten Jahren einen hohen Rechercheaufwand betrieben, um die Strukturen und Strömungen aufzuzeigen und deren Ziele einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Denn in diesem Punkt sind sich Experten, Journalisten und auch der Verfassungsschutz mittlerweile sicher: Die Unterwanderung unserer demokratischen Gesellschaft findet schon seit langem statt, verfolgt eine Strategie und ist auf lange Sicht angelegt. Jahrzehntelang waren Bevölkerung, Parteien und unsere Regierungen auf dem „rechten“ Auge blind. Entlang des Vortrags schleicht sich ein Zitat Christian Morgensterns ins Gedächtnis: „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“ Dabei haben die nationalistisch geprägten Familien im Landkreis Uelzen mit ihrer Identität nicht einmal hinter dem Berg gehalten – 1987 erschien im Uelzener Anzeiger eine Gedenkanzeige zum Todestag von Rudolf Hess, Hitlers Stellvertreter, unterschrieben von 23 Personen mit vollem Namen unter Angabe des Wohnortes.
Belegt im niedersächsischen Verfassungsbericht 2022 ist, dass der regionale Schwerpunkt im Großraum Lüneburg, Uelzen und Lüchow-Dannenberg liegt. Aber was wollen „die“ eigentlich? Dem Bericht des niedersächsischen Verfassungsschutzes kann man folgendes entnehmen: „Reichsbürgerideologien, rechtsextremistische Narrative und Verschwörungserzählungen setzen auf die »Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates« […] Die bislang vorliegenden Erkenntnisse […] bestätigen die Analyse des niedersächsischen Verfassungsschutzes, wonach sich zunehmend eine neue gewaltorientierte Mischszene herausbildet. Reichsbürgerideologien, rechtsextremistische Narrative und Verschwörungserzählungen aus dem Bereich der Delegitimierung des Staates sind klar geäußert worden. Sie zeigen, dass die Grenzen zwischen den Phänomenbereichen zunehmend verschwimmen. Diese Mischszene nutzt dabei insbesondere Verschwörungstheorien als Scharnierfunktion. Den Verfassungsschutz wird deshalb die Frage beschäftigen, in welche Richtung sich das dahinterstehende Personenpotenzial entwickelt.. […]“ (Seite 50, VSB 2022).
Raabe klärt über Ideologien und Lebensweisen auf, ebenso über Zeichen und Symbole, die die politische Gesinnung unserer „völkischen“ Nachbarn erkennen lassen. Die schwarz-weiß-rote Flagge mal auf halbmast gehisst, am Tag der Verfassung (23. Mai) oder gehisst am 18. Januar, dem Tag der Reichsgründung. Weitere sichtbar zu findende Zeichen sind unter anderem die Wolfsangel oder Lebensrune an Hofeinfahrten, auf Feldsteinen oder in Fachwerkbalken; die Irminsul, ein frühmittelalterliches heidnisches Heiligtum der Sachsen – im Nationalsozialismus das Symbol der SS-Forschungseinrichtung »Ahnenerbe«. Der Wolfsknoten (Valknut), den neurechte und neonazistische Gruppen für sich entdeckt haben, ersetzt das nationalsozialistische Hakenkreuz, dem es bei entsprechender Ausgestaltung recht ähnlich sehen kann und in den rechten Jugendbewegungen ebenso zum Einsatz kommt wie im Aryan Circle Germany. Weitere Erkennungszeichen sind in sozialen Netzwerken, aber auch
auf T-Shirts und anderen Kleidungsstücken:

  • ein blaues Herz, das Erkennungszeichen für die AfD und ihre Anhänger,
  • die Farben der Flagge des Deutschen Reiches, Schwarz, Weiß und Rot, als Herzen, Dots oder in anderen Symbol-Kombinationen,
  • ein winkendes Emoticon als Alternative oder Symbol für den Hitlergruß,
  • zwei Blitze als Verweis auf die doppelte Sigrune, das Zeichen der Schutzstaffel („SS“),
  • der Vampir als „Blutsauger“ als antisemitisches Stereotyp,
  • ein Kugelschreiber, entweder als Emoji oder als echter Kugelschreiber, der scheinbar ohne Zusammenhang im Video auftaucht, als geheimer Code für die Holocaust-Leugnung.

Der Ebstorfer Heimat- und Kulturkreis hat eingeladen, weil Heimatvereine von der Graswurzelarbeit und Unterwanderung besonders betroffen sind und es dem Vorstand ein Anliegen war, zu diesem Thema zu informieren und öffentlich Stellung zu beziehen. [Eva Neuls]

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