Seite lädt...

Aktuelles Feuilleton News

Die „letzte Generation“ – vor 150 Jahren

teilen

Aufregende „Die Buddenbrooks“-Dramatisierung am Deutschen Nationaltheater Weimar

Weil es eine Vormittagsaufführung für Schüler war, strahlte mir beim Verlassen des Theaters die Mittagssonne ins Gesicht. Und zum Glück fiel mir dazu Thomas Manns Bekenntnis ein: „Jedes Buch, das gegen das Leben geschrieben ist, ist auch ein Buch für das Leben.“ Ja, die reiche Lübecker Kaufmannsfamilie Buddenbrook war drei Stunden lang sehr spektakulär und außerordentlich sehenswert auf den Brettern des Deutschen Nationaltheaters Weimar untergegangen; alle ihre jungen, hoffnungsvollen Mitglieder irgendwie gescheitert. Auch, weil diese Kaufleute keine waren, die am Tage Geschäfte machten, die ihnen in der Nacht Alpträume bescheren müssten. Alle Redlichkeit und das stete Mühen um Contenance hatten das Ende aber nicht verhindert. „So ist es“, heißt es am Schluss lapidar.

Resümee: Ich habe sehr, sehr selten aufregendere und kurzweiligere drei Theaterstunden erlebt, wie diese es waren. Bei Romandramatisierungen schon gleich gar nicht. Wie oft gähnte man schon nach 90 Minuten dem Ende entgegen! Für das DNT Weimar jedoch erfanden Beate Seidel und Christian Weise (auch Regie) eine Aufführung, die neben bunt und schrill genauso still und anrührend ist, die beeindruckende Bilder hat für Idylle oder Freiheit oder Kälte und Leere.

Aram Tafreshian als Christian Buddenbrook

Der Fokus liegt auf den drei Geschwistern Christian, Tony und Thomas – der „letzten Generation“ der Familie. Erzählt wird in drei unterschiedlichen ästhetischen Kategorien. Christian ist der Alleinunterhalter, der Clown; er bekommt als Erster einen Monolog, in dem er seine Sicht auf die Dinge ausbreiten darf. Aram Tafreshian ist der Hypochonder Christian, der das Theater mehr liebt als jede Arbeit, den es unstet an die verschiedenen Orte der Welt trieb. Ihm klingt das Familienmotto, „mit Lust bey den Geschäften am Tage“ zu sein, wie eine Drohung.
Tafreshian arbeitet in Höchstform. Er kokettiert mit dem Publikum, zappelt und hampelt. Er hat für jeden sich Mühenden nur Spott. Aber sucht er nicht eigentlich seinen Platz in dieser Welt? Manchmal meint man in diesem Spiel ein Fünkchen Sehnsucht nach Geborgenheit zu ahnen. Aber es bleibt die Sehnsucht des Außenseiters, der ja auch alles dafür tut, nirgends kompatibel zu werden.

Rosa Falkenhagen als Tony

Tonys Geschichte ist Breitwandkino. Hinter einem Vorhang spielen die Akteure live, was jedoch per Video großformatig auf die Leinwand übertragen wird. Im biedermeierlichen Landschaftszimmer ist die Welt des Mädchens im Lot. Ihre Ordnungskoordinaten sind heiße Schokolade und Topfkuchen zum Frühstück, was einen gewissen Wohlstand voraussetzt. Hübsch, verwöhnt, ein wenig oberflächlich – das ist die Tony Buddenbrook, der Rosa Falkenhagen ein Gesicht gibt. Eigentlich eher Maske, denn das comme il faut – wie es sich gehört – ihrer Erziehung hat sie verinnerlicht. Da bleibt der Student und Burschenschaftler Morten (Fabian Hagen) nur ein kurzer Störfall. Dass sie wirklich auf ihn gewartet hätte, nimmt man ihr nicht ab, mit seinen Freiheitsvisionen kann sie nichts anfangen. Zwar erklingt zu ihrer Hochzeit mit Grünlich das ahnungsvolle „Let me forget, when I make a mistake“ – aber Mitleid mit dieser eigentlich bejammernswerten Tony hat man nicht. Schließlich wird sie bis zur Scheidung vier Jahre lang heiße Schokolade und Topfkuchen zum Frühstück haben. Außerdem war sie dazu erzogen, gehorsam zu sein.

Krunoslav Šebrek als Thomas Buddenbrook

Die Erzählung der Lebensjahre von Thomas greifen dann zum großen Opus: Das Oratorium in guter alter Manier mit Chor, Orchester, Solisten. Mitglieder der Staatskapelle Weimar und des Opernchores begleiten die tragischste der Figuren bis zum schmerzhaften Ende beim Zahnarzt mit Noten in Weill-Tradition. Das Motto dazu steht groß über der Szene: „Everything is not going to be right“ – es wird eben nicht alles gut! So sehr sich Thomas immer alle Stäubchen vom Gehrock wischte, die tadellose äußere Erscheinung als Korsett für innere Haltung nahm, dieser Mann ist ein armer Teufel, der seiner Liebe abschwor und sich damit beruhigt, das bereits marode Firmenkonto mit der Mitgift seiner Frau aufgebessert zu haben. Krunoslav Šebrek steht wie aus dem Ei gepellt. Und doch so voller Zweifel, Skrupel auch. Das neu gebaute Haus ist viel zu groß für die verbliebene Familie. Die Kulisse gleicht einem Eispalast, von dessen Wand ein riesiger Tsunami auf die Bewohner herabzustürzen droht. Und: Dieser Thomas kann am Ende nicht mehr, wirft alle Klamotten von sich, macht zaghafte, neue Schritte auf Ballettspitzen. Musste er sich auch hierin verstellen? Ist er ein Transmann (wie es heute neudeutsch heißt), der sich dennoch ins Korsett der Ehe zwängen ließ? Die Anspielung auf Thomas Mann ist unverkennbar. – Am Ende liegt der letzte hoffnungsvolle Spross tot in der Gosse, gestorben wegen eines vereiterten Zahns und eines unfähigen Dentisten. Größer kann die Diskrepanz zwischen dem Glanz des Beginnens und diesem Ausgang nicht sein.

Ein großartiges Ensemble mit Staatskapelle und Chor.

Jeder hat versucht, sein Leben zu leben. Woran lag es, dass es nicht glücklich gelang? Erklärt sich’s mit Brecht: „Denn die Verhältnisse, sie sind nicht so“? Oder hätte man diese Kinder nur ihren Neigungen folgen lassen sollen, anstatt sie in (überlebte) Konventionen zu pressen?
Es ist eine Inszenierung mit Potential zum Nachdenken. Mit einem großartigen und glänzend aufgelegten Ensemble, aufwändigem Bühnenbild und Kostümen, frischen Regieeinfällen und einer Dramaturgie, die vergessen macht, dass „Die Buddenbrooks“ eigentlich ein 1000-Seiten-Roman sind. Obendrein einer, für den sein Autor den Literaturnobelpreis erhielt. Was ihn wiederum ärgerte, denn er hätte die Auszeichnung lieber für seinen „Zauberberg“ bekommen. Selbigen bringt das DNT im nächsten Jahr auf die Bühne! Am Theater Lüneburg sah man ihn bereits als Ballett!

„Die Buddenbrooks“ in Weimar werden noch gespielt am 11. und 24. März, am 04. und 29. Mai 2023.
www.nationaltheater-weimar.de Diese Kulturreise nach Thüringen lohnte sich wahrhaftig!

Barbara Kaiser – 22. Februar 2023

Tags:
Vorheriger Artikel
Nächster Artikel