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Aus den Fugen die Zeit…

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Shakespeares „Hamlet“ mit der American Drama Group im Theater an der Ilmenau

Am Schluss sind nach dem Willen des Dichters alle tot. Nur Horatio, der treue Freund und Student aus Wittenberg, bleibt übrig. Reicht das, um in eine Zukunft zu weisen? Zu Shakespeares Zeit galt Wittenberg als das Zentrum der Reformation noch als Hoffnung. Wo sich doch der Aufbruch mit der Renaissance verflüchtigt hatte. Trotzdem sah der Brite den Militär Fortinbras als Nachfolger für Dänemark vor. Aber Fortinbras gibt es in der Inszenierung der American Drama Group gar nicht. Nirgendwo ein Retter! „The Rest Is Silence“ lautet die pessimistische Hamlet-Ansage.

Aber geht das? In diesen Zeiten nicht zum Aufbruch zu blasen? Die Rezeption des Shakespeareschen Klassikers hinterlässt den Zuschauer zwiegespalten. Da agiert ein Ensemble sprachgewaltig, munter und spielfreudig. Schlüssig bis in so manche Geste, die nie zur Hampelei gerät. Die Interpretation des Dänenprinzen durch die Compagny folgt nicht der August Wilhelm Schlegels, der sich vor 200 Jahren mit der europäischen Literatur auseinander setzte, auch nicht der durch Sir Laurence Olivier, der den Hamlet im Jahr 1949 durch den Film berühmt machte. Und doch ist der Hamlet dieser Aufführung schon ein wenig „angekränkelt von des Gedankens Blässe“, ein bisschen wehleidig zu Beginn. In der Darstellung von W. Wilder ist der Prinz einer, der Halt suchen muss in einer Situation, die er nicht beherrscht. Er ist auf Seelenexpedition im Lebenslügengestrüpp und sieht nicht immer durch! Seine Ophelia scheint lebens- und liebeshungriger zu sein, bis sie eher darüber wahnsinnig wird, weil sie (auch sexuell) unbefriedigt bleibt.

Es ist eine schöne Aufführung, die ganz zaghaft das schwierige Shakespeare-Englisch korrigiert (wobei „Is very strength“ schon mal in deutscher Jugendsprache vorkommt) und den Text rigoros kürzte. „Hamlet“ in 90 Minuten habe ich selber noch nie gesehen; immerhin hat die Tragödie fünf Aufzüge. Nicht einmal die typische Hamlet-Pose mit dem Yorick-Totenschädel fehlt. Das Ensemble findet zu spannungsvoller Gruppenchoreografie und manchmal auch zu suggestiven Bilder, obgleich es ansonsten recht konventionell in Auffassung und Spielweise daherkommt. In einem minimalistischen Bühnenbild, in dem ein Halbrund auf Stelzen die Handlung aus dem Morast der gesellschaftlichen Verhältnisse hebt, jedoch mit charakterisierenden Kostümen.

Es war eine Schüleraufführung mit 700 jungen Menschen. Die benahmen sich zwar theater-kompatibel, aber nach einer Stunde mussten die Ersten eben doch aufstehen und den Saal verlassen. Das störte und war obendrein unhöflich. Aber als am Schluss alle in kürzester Zeit hinwegsterben, kichert keiner der jungen Zuschauer an der falschen Stelle. Da hatten sehenswertes Spiel, eine makellose englische Phonetik und Artikulation und ein Quäntchen Musik das ihrige getan.

Die Auffassung der Regie war eine pessimistische. Natürlich liegt das beim „Hamlet“ nahe. Zum Glück gab es keine brachial ins Präsens geholten Szenen, die keinen dramaturgischen Sinn ergäben. So richtig besonnen auf die Momente eisiger Kälte und nachdenklicher Betroffenheit, scheuer Sehnsucht und bitterbösen Weltekels – die sich allein aus dem Text ergeben – hat man sich jedoch nicht. Aber: Dem Schweigen darf man doch heute nicht das letzte Wort überlassen. Oder?

Barbara Kaiser – 08. Februar 2023

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