Der teuflische Opportunist
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Nach dem Roman von Klaus Mann spielte das Neue Globe Theater „Mephisto“
„Mephisto“ gehörte schon zu meinen Lieblingsbüchern, als vor 50 Jahren das Bundesverfassungsgericht der Bundesrepublik sein Urteil in einem Rechtsstreit verkündete, der durch alle Instanzen geführt worden war: Es ging in der Auseinandersetzung im Grunde um das Verhältnis von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechten; Gustaf Gründgens` Adoptivsohn und Alleinerbe klagte gegen die Veröffentlichung des grandiosen Romans von Klaus Mann. In der DDR war das Buch bereits 1956 erschienen. Im Westen konstruierte das Gericht jedoch einen „postmortalen“ Persönlichkeitsschutz und bewertete den höher als die Kunstfreiheit. Erst 1981 scherte sich der Rowohlt-Verlag nicht mehr um das noch geltende Verbot und veröffentlichte das Werk, wohl infolge des fulminanten István-Szabó-Films, der im gleichen Jahr in die Kinos kam und 1982 den Oscar, eine von zahlreichen Auszeichnungen, erhielt.
Nun hat sich das Neue Globe Theater Potsdam „Mephisto“ vorgenommen und als ein „Schauspiel mit Musik nach dem Roman von Klaus Mann“ deklariert. Um es gleich zu sagen: Es ist weder Fisch noch Fleisch geworden. Es ist keine Revue, kein Kabarett – es spielt wenig inspiriert vom Blatt. Manns Untertitel „Roman einer Karriere“ mag am ehestens zutreffend sein, auch wenn die Akteure vor allem im ersten Teil der sexuellen Orientierung des Hendrik Höfgen zu viel Aufmerksamkeit widmen wollten und meinen, vor allem die Lage der Homosexuellen im „Dritten Reich“ auserzählen zu müssen. Das greift viel zu kurz!
Der Autor selbst schrieb: „`Mephisto` wird ein kaltes und böses Buch. Vielleicht wird es den harten Glanz des Hasses haben.“ Im Jahr 1936 sagte die Pariser Exilpresse voraus, das Buch würde in Deutschland „verboten und verschlungen“ werden. Erschienen ist es im Oktober 1936 (übrigens ohne homosexuelle Bezüge) im Amsterdamer Querido-Verlag; bereits im Dezember waren 1200 Exemplare verkauft.
Laurenz Wiegand ist im Globe Theater der Hendrik Höfgen und versucht sich an einem begnadeten Schauspieler, dem Vorbild der Figur, abzuarbeiten. Der geriet in seinem Leben hauptsächlich aus Furcht, nicht beachtet zu werden, zum schillernden Mittelpunkt. Er suchte aus der schmerzlichen Annahme, kein Ich zu haben, einzig in wechselnden Rollen eine Balance zu finden. Die Würde, ein außergewöhnlicher Geist zu sein, schützt diesen Hendrik Höfgen allerdings nicht vor der Verlockung durch die Macht.
Wiegand fehlt einiges, den Zwiespalt dieses Höfgen sichtbar und nachvollziehbar zu machen, meist bleibt er nur der ausgelassene „Affe der Macht“. Bis zu seinem letzten, verzweifelten Aufschrei, was sie denn alle von ihm wollten, er sei doch nur ein ganz gewöhnlicher Schauspieler, hat es wenig Entwicklung gegeben. Und ausgerechnet beim Goethetext, in der Szene der „Faust“-Probe, hängt Wiegand im Text. Fatal.
An seiner Seite agieren Martin Radecke (Conférencier/Juliette), Jessica von Weher (Barbara/Dora/Angelika), Nora Backhaus (Nicoletta/Lotte), Marco Litta (Otto/Hans) und Andreas Erfurth (Marder/General/Theaterdirektor). Ganz erfreulich waren Bettina Koch und Toni Nissl an Klavier und Percussion unterwegs, nie aufdringlich-laut, sehr anschmiegsam an die Schauspieler-Sänger. Von denen übrigens auch nicht alle ein Bienchen für ihre Sprechkultur verdienten, aber man hörte es schon schlechter.
Wenn man als Zuschauer aber nach der Pause öfter zur Uhr schaut, ist das kein gutes Zeichen für die Aufführung. Weil die keine zündende Regie-Idee hat (Kai Frederic Schrickel) und die Songs nicht immer einer dramaturgischen Logik folgen. Manche Szenen sind auch einfach nur albern, wie beispielsweise die Bebilderung der Hochzeitsreise ans Meer mit „La mer“. Der General (Hermann Göring) und seine Lotte Lindenthal geraten zu dicken, lächerlichen Trippelfiguren, was ihnen sofort ihre wahre Gefährlichkeit nimmt.
Man hätte sich doch fragen müssen an solch einem Theaterabend: Ist man selber ein Unanfechtbarer in schwieriger Zeit? Oder hält man es eher mit der pragmatisch-zweifelhaften Schmiegsamkeit. Verschwimmen diesem Höfgen die Bühne und die Realität nur deshalb so gefährlich, weil jeder Mensch lieber mit Zuspruch und Bejahung zu tun hat als mit Verneinung und Verweigerung. Oder ist er ein gnadenloser Egoist und Karrierist. – Von Gustaf Gründgens ist übrigens kein prononcierter prohitlerischer Propagandismus überliefert, kein öffentlicher Kniefall. Sein Theater war ihm „Insel“, seine Kooperation mit den Nazis nutzte er auch, um Nazigegner zu retten. Ernst Busch zum Beispiel holte er aus der Hochverratshaft. Bei Hans Otto (Otto Ulrichs) hatte er kein Glück; das Theater in Potsdam trägt seit 1952 den Namen des mutigen Kommunisten.
Zwei Szenen gab es in dem drei Stunden währenden Spiel, bei denen man aufhorchen konnte, erschrak beziehungsweise Empathie entwickelte: Da schwafelt der dicke General über die „deutsche Kunst“ und deren Reinhaltung – sofort fiel einem der Name Höcke ein! Und als Otto Ulrichs Genosse mit einem Gruß an Höfgen auftaucht, sein Leiden schildert nach der Folter, aber auch kraftvolle Gewissheit bringt, dass nichts vergessen sein wird – das rührt ans Herz. Auch weil man weiß, dass es für die Erfüllung dieser Vision noch einen langen Weg braucht. Meine Empfehlung nach einem wenig charismatischen, auch einfallslosen Theaterabend, der kein Assoziationsreigen war, ist: Lesen Sie lieber den Roman. Er ist ja inzwischen schon lange für jeden erhältlich. In den 1970er Jahren stand in meiner Ausgabe des Aufbau-Verlags (Ost)Berlin noch, dass der „Vertrieb in der BRD und in Westberlin verboten“ sei.
Barbara Kaiser – 14. März 2024