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Wenn Boogie auf Fuge trifft

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Antje Ueberschär und Andy Mokrus im dritten St.-Marien-Sommerkonzert

Buchstäblich mit dem letzten Ton war die Zeit abgelaufen und das Samstagabendläuten donnerte los. Aber Andy Mokrus hätte sich wohl nicht aus dem Takt bringen lassen. Aus einem irischen Takt, der nach des Komponisten Willen über den Atlantik reiste und zum Country wurde. Das hieß für den Pianisten Mokrus eine rasante Chromatik im Presto, so ein richtiges Renommierstück zum Abschluss. Der Hannoveraner Musiker war im dritten St.-Marien-Sommerkonzert zu Gast, an seiner Seite blies Antje Ueberschär die Querflöte.
Es war ein Konzert, das keine Grenzen kannte, aber Brücken schlug. In andere Kulturen und andere Zeiten; zwischen osteuropäischer Folklore, Bachscher Fuge, Kurt Weill und Boogie.
Zu seinen Kompositionen erzählte Andy Mokrus stets eine Geschichte, weil man „mit den Bildern hinter der Musik verreisen kann, denn Klavierstück 1 bis 10 sagte Ihnen nichts.“  So schlossen die Zuhörer beispielsweise Bekanntschaft  mit dem kleinen Mäuserich, der Ballett tanzte. Und ja, natürlich denkt man dabei auch an Prokofjew. Oder wenigstens Tschaikowski. Und lauert eigentlich die Katze auch irgendwo?
Den Anfang des Konzerts machte ein „Prélude“, das glückliche Kindertage imaginieren sollte. Einfache Harmonien und eine kleine Melodie entführten den Zuhörer in eine Zeit, in der die Welt noch in Ordnung war… Die „Groteske“ wurde von Kurt Weill inspiriert, den Mokrus den Meister der Enttäuschung nennt, weil die Musik nie so weiter geht, wie man meint, dass sie muss. Ein bisschen Erzählendes also, etwas Ruppiges, Lyrisches auch, und ein paar Dissonanzen natürlich. Antje Ueberschär darf mitspielen – das Heft in der Hand behält aber das Klavier. Das wird sich erst für das „Poem Nr. 1“ am Schluss ändern, hier darf die Flöte ein zauberhaftes kleines Larghetto vorstellen. So richtig was zum Träumen und Besinnen.

Davor gibt es aber noch die Reise nach Bulgarien. Gut, die Musik dazu war eher ein Sirtaki, aber Griechenland liegt ja gleich um die Ecke. Presto voller Taktwechsel, Accelerando und Crescendo. – Dann stellte sich Andy Mokrus dem großen Johann Sebastian. „Das wollte ich immer machen“, sagte er. An Selbstbewusstsein fehlte es dem Jungen also nie. Das Ergebnis: eine „Vierstimmige Boogie-Fuge“. Der Mann am Klavier stellt die vier Themen vor, dann geht`s los. Okay, ein kristallklarer Bach ist das am Ende nicht, das Stück funktioniert aber als wilder Boogie. Und außerdem darf man bei dieser Art des Musizierens auch schludern, und trifft man nicht jeden Ton, so ist das kein Drama. Mokrus bemüht sich trotzdem um eine Struktur und Linienführung. Und Spaß machen solche Adaptionen allemal. So auch die „Meditation“ nach Olivier Messiaen, dem Tonsetzer aus Frankreich.
Am meisten Spaß machte wohl das Stück, in dem zwei Zirkusclowns – nach dem Willen des Komponisten – mit Sahnetorten werfen. Hier war die Inspiration wieder Kurt Weill, das „Lied von der Unzulänglichkeit“ aus der „Dreigroschenoper“ meinte man zu erkennen.

Es war eine andere musikalische Erfahrung, die die Zuhörer des dritten St.-Marien-Sommerkonzerts da machten. Vielleicht hatten einige zu Beginn ein wenig gefremdelt. Am Ende aber waren wohl die meisten überzeugt davon, dass barocke Mehrstimmigkeit und glitzernder Impressionismus zusammenpassen, dass es keineswegs die derzeit vielgeschmähte „Kulturaneignung“ bedeutet, wenn sich Noten für eine kleine brasilianische Gitarre oder die für einen bulgarischen Vogelgesang mit aktuellen Frequenzen küssen. Keine Schubladen! Mut zum Experiment! In den munteren 70 Minuten dominierte zwar der Pianist, die Flötistin aber bekam auch Gelegenheit, sich tapfer zu wehren.
Am Samstag, 22. Juli 2023, erklingt A-capella-Chormusik mit dem Ensemble „Sounds of vocals“, das sind Studierende der Musikhochschule Hannover. 16.45 Uhr, St.-Marien.

Barbara Kaiser – 16. Juli 2023