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Feuilleton News

Weltumspannend – zwischen südamerikanischer Samba und russischem Bombast

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Auftakt zum Symphonischen Ring 2023/24 gelang mit Jazz-Trio und Göttingern

In Zeiten von Reproduktion und Digitalisierung bleibt das Liveerlebnis doch konkurrenzlos. Zum Glück sehen das immer noch genügend Menschen so, weshalb das Auftaktkonzert des Symphonischen Rings sehr gut besucht war. Zu Gast: die Göttinger Symphoniker und das Jazz-Trio Frank Dupree (Klavier/Leitung), Jakob Krupp (Kontrabass) und Obi Jenne (Schlagzeug). Das Programm versprach ein Feuerwerk.

Frank Dupree

Der Auftakt kam Darius Milhaud (1892 bis 1974) zu. Mit „Le Boef sur le Toit“ verarbeitete der Diplomat adé seine musikalischen Eindrücke, die sich ihm während seines Aufenthaltes ins Ohr geschraubt hatten. Ohrwürmer sozusagen, die ihn auch in Paris, wo er nun lebte, nicht losließen. Herausgekommen ist ein fröhliches Stück in offener Form, eine Fantasie, ein Rondo – wie auch immer. Zwischen Straßenlärm und Vogelgezwitscher, mit Streicherbögen, Klangholz und Flöte und einem Mann am Pult, der ein Flummy war oder sich charmant zu wiegen wusste. Seine Musiker*innen nahmen die deutlichen Zeichen gerne auf.

Manchmal ist die Musik ein erfrischendes Durcheinander, das herrlich schräg klingt, manchmal ein müdes Vehikel einer Stimmung, dem ein Flötensolo wieder aufhilft.

Die Gäste schmückten Pathos und Sentiment fein aus, ein Gewebe aus Anspruch und Ambition. Dieser „Ochse auf dem Dach“ war eine hochtourige Angelegenheit, die Ekstasen kannte, jedoch nie Beliebigkeit. Ein vielversprechender Beginn.

Zum Herunterkühlen folgte „Pavane“ von Gabriel Fauré (1845 bis 1924), dieser französische Komponist, der sich vom damaligen Zeitgeist des „Wagnerismus“ fern hielt und eigene Wege suchte. Er blieb streng und oft klassizistisch in der Form, schwelgerisch in den Melodien. So auch „Pavane“ op. 50, der feierliche, langsame Schreittanz.

Für die folgende „Rhapsodie in Blue“ von George Gershwin (1898 bis 1937) gesellte sich das Jazz-Trio zu den Sinfonikern, Frank Dupree setzte sich ans Klavier. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Kontrabass und Schlagzeug vollbrachten nichts, was ein Mitglied des Sinfonieorchesters nicht auch vollbracht hätte. Das Trio bekam die eine oder andere „Kadenz“ für sich. Der Klavierpart jedoch war souverän. Hier musizierten Leute, die Noten zu Atmosphäre gestalteten, voller Wachheit und Esprit, mit einer prägenden Balance zwischen Expressivität und Sparsamkeit

Die im Jahr 1924 entstandene Rhapsodie in F-Dur mit dem berühmten Klarinetten-Glissando zu Beginn hatte in der Interpretation manch Ritardando, das aufhorchen ließ, Aha-Effekt war. Das waren brodelnder Jazz, sich kaprizierender Klavierklang und schwelgende Geigen, die manchmal einen ganz anderen Ton von Opulenz hervorbrachten.

Jakob Krupp: Kontrabass. Obi Jenne: Schlagzeug und Frank Dupree: Klavier.

Nach der Pause wurde es russisch. Es ist ja erfreulich, dass sich die Göttinger dem kulturellen Erbe dieses Landes nicht verweigern wie anderswo. Modest Mussorgski (1839 bis 1881), der „Bilderkomponist“, denn sein Zyklus „Bilder einer Ausstellung“ sind wohl das bekannteste Werk aus seiner Feder. Mussorgski ließ sich 1874 von Arbeiten des Moskauer Architekten und Malers Viktor Hartmann zu dieser Musik inspirieren. Er bezog in seiner Musik die Bilder aufeinander und bannte so die Gefahr eines nur unverbindlichen Kaleidoskops.

Wieder integrierte das Orchester die drei Jazzmusiker. Und das war diesmal ziemlich überflüssig. Hatte Maurice Ravel die Klavierpartitur seines Kollegen einst für Sinfonieorchester transkribiert und dem Stück damit zu seinem Welterfolg verholfen, arrangierte der israelische Komponist, Dirigent und Pianist Yarcon Gottfried (*1968) das Ganze für Jazz-Trio und Orchester. Er machte aus 35 aufregenden Originalminuten eine ganze Stunde mit Jazzeinlagen, wie sie beliebig aus jedem Klub klingen können.

Diese Ausstellungsbilder waren eine Enttäuschung. Nicht in der musikalischen Qualität, das war solide Arbeit, sondern im Umgang mit der weltberühmten Partitur.

Man suchte die sich wiederholende „Promenade“ vom wuchtigen „seht her, ich bin`s!“ des Anfangs bis zum erschütternden Requiem auf den Tod des Komponistenfreundes, der Anlass überhaupt für den Klavierzyklus gewesen war, vergebens. Man schwamm als Zuhörer ein wenig ratlos zwischen „Küchlein-Ballett“ und „Baba-Jaga-Hütte“, klammerte sich verzweifelt ans Leitmotiv der genannten „Promenade“. Am Ende war „Das große Tor von Kiew“ durchschritten, dem die Aufführung allerdings seine Monumentalität nahm – durch Rumba-Perkussionsrasseln. Gershwins „Rhapsodie“ war vorher auch schon intoniert worden. Von Mussorgski, der mit seiner Musik ganz in der Tradition der Krönungsszene seines „Boris Godunow“ stand, war nicht viel zu vernehmen. Kein breites musikalisches al fresco, perlend großartig. Russisch eben. Das war eher lässig-amerikanisch. Kann man gerne machen, wobei trotzdem die Frage bleibt, ob man mit dem musikalischen Erbe immer umgehen darf, wie es einem passt. Damit hatten die Gäste aus Göttingen einen Teil der Begeisterung, die es bis zur Pause gab, für mich verspielt. Ein bisschen mehr Respekt für Mussorgski hätte ich mir gewünscht.

Barbara Kaiser – 27. November 2023