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Feuilleton

Vorbotin mit roter Fahne

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Zum 150. Jahrestag der Pariser Kommune von 1871

„In Erwägung unserer Schwäche machtet/ Ihr Gesetze, die uns knechten solln/ Die Gesetze seien künftig nicht beachtet/ In Erwägung, daß wir nicht mehr Knecht sein wolln./ In Erwägung, daß ihr uns dann eben/ Mit Gewehren und Kanonen droht,/ Haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben/ Mehr zu fürchten als den Tod.“

Als ich vor rund 45 Jahren meine Diplomarbeit zum Thema „Die Pariser Kommune in der deutschen Lyrik“ schrieb, war dieses Gedicht von Bertolt Brecht, dessen erste Strophe hier als Entree steht, quasi das Credo aller Würdigungen und Huldigungen des Ereignisses, an das in diesem Jahr erinnert wird. Damals war die Welt eine andere, und ich hätte mit keiner Silbe daran gedacht, dass der Kapitalismus noch einmal die Möglichkeit bekommen würde, den Turbo anzuwerfen. Dass die Forderungen der Pariser Kommunarden heute aber immer noch nahezu brennend aktuell sein würden, schien auch außerhalb der gesellschaftlichen Entwicklung.

Vor 150 Jahren drehten die Pariser Arbeiter und Handwerker die Gewehre um und fürchteten ab sofort schlechtes Leben mehr als den Tod. Vom Pariser Rathaus wehte die rote Fahne! Die Regierung des Großbankiers Thiers, die Staatsbeamtenschaft und die Armee war nach Versailles vertrieben, in freier, demokratischer Entscheidung der Rat der Stadtgemeinde, die „Commune de Paris“, gewählt worden. Auch in anderen Städten, wie Toulouse oder Lyon, entstanden solche Modelle. Die verkündeten in ihrer „Erklärung an das französische Volk“ die „absolute Garantie der Freiheit der Person, des Gewissens und der Arbeit, der Versammlungen und der Presse“.

Die Grundrechte des staatsbürgerlichen Individuums sollten verknüpft werden  mit einer geistigen und wirtschaftlichen Emanzipation der Arbeitenden. Umgehend wurde die ärgste Not der Armen gelindert, durch Mieterlass und Rückgabe verpfändeter Gegenstände. Die ungemein arbeitsamen Kommunalverwaltungen bestanden nicht aus traditionellen Staatsbeamten, sondern aus Lokalpolitikern, kleinen Gewerbetreibenden, Journalisten und nicht zuletzt Arbeitern. Sie alle erfüllten ihre amtliche Funktion vor allem mit ihren Erfahrungen des Berufslebens und des existenziellen Daseins. Dass daraus wohlfahrtsstaatliche Tendenzen wuchsen, Reichtum gleich verteilt werden sollte, Frauen gleiche Rechte bekamen, eine allgemeine Schulpflicht eingeführt werden sollte, Wähl- und Absetzbarkeit von Beamten und Polizisten beschlossen wurde, muss den bis dahin Herrschenden im Versailler Schloss große Angst eingejagt haben.

So wurden diese zaghaften Erfolge bürgerschaftlichen Miteinanders im Mai 1871 in Blut ertränkt. Die Reaktion wütete, Nachsicht hatten die „Himmelsstürmer“ (Marx) von Paris nicht zu erwarten. Die Kommunarden bezahlten ihre Fehler, wie das Nicht-Verfolgen und Zerschlagen der alten Macht, mit dem Leben. Mehr als 20 000 wurden massakriert, fast 40 000 gerieten in Gefangenschaft oder wurden verbannt. Die letzten 147 Männer und Frauen wurden an der Mauer des Friedhofes Père Lachaise zusammengetrieben und erschossen.

Das alles geschah übrigens mit gnädiger Unterstützung des Kriegsgewinnlers Bismarck und des preußischen Heeres, die nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 als Akt der besonderen Demütigung der besiegten Franzosen im Januar in Versailles das Deutsche Reich proklamiert und den König von Preußen, Wilhelm I., zum deutschen Kaiser ausgerufen hatten. Die Gründung eines Staates und die Inthronisierung von dessen Herrscher in einem fremden Land – was kann aus solch einem Gebilde werden?

Der Nachhall der glorreichen 72 Tage unter der roten Fahne jedoch war riesig. So sagte August Bebel am 25. Mai 1871 im Reichstag: „Meine Herren, mögen die Bestrebungen der Kommune in ihren Augen noch so verwerfliche oder verrückte sein – seien Sie fest überzeugt, das ganze europäische Proletariat und alles, was noch ein Gefühl für Freiheit und Unabhängigkeit in der Brust trägt, sieht auf Paris. Und wenn auch im Augenblick Paris unterdrückt ist, dann erinnere ich Sie daran, daß der Kampf in Paris nur ein kleines Vorpostengefecht ist…“ (siehe auch Jean Villain, Die großen 72 Tage, Verlag Volk und Welt, Berlin 1971, S. 336).

Der Publizist Sebastian Haffner (1907 bis 1999) war Jahre später der Überzeugung, dass es in Paris „zum ersten Mal um Dinge (ging), um die heute in aller Welt gerungen wird: Demokratie oder Diktatur, Rätesystem oder Parlamentarismus, Sozialismus oder Wohlfahrtskapitalismus, Säkularisierung, Volksbewaffnung, sogar Frauenemanzipation – all das stand in diesen Tagen plötzlich auf der Tagesordnung.“

Und heute? In Frankreich schweigen die Schulbücher, wie zu lesen ist, weitgehend zu diesem ruhmreichen Kapitel der eigenen Geschichte, auf die sich letztlich alle proletarischen Erhebungen bezogen. Ob 1917 in Russland oder 1918/19 in Deutschland. Aber die Wahrheit ist eben auch immer eine Machtkategorie.

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hält es eher mit Napoleon. Der übrigens vor 200 Jahren auf seiner Verbannungsinsel St. Helena starb. Man wird beobachten, vor wem sich Macron verneigt. Sein Vorgänger George Pompidou hatte sich anlässlich des 100. Jahrestages im Jahr 1971 den Kommunarden zugewandt.

Einen 150. Geburtstag begehen in diesem Jahr übrigens noch zwei Persönlichkeiten, die im Sinne der Pariser Kommune für die unterdrückte Klasse stritten und – es  mit ihrem Leben bezahlten: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Aber das wäre ein anderer Artikel. Vielleicht am Ende die letzte Strophe des eingangs zitierten Brechtgedichts: „In Erwägung, daß wir der Regierung,/ Was sie immer auch verspricht, nicht traun, /Haben wir beschlossen, unter eigner Führung/ Uns nunmehr ein gutes Leben aufzubauen./ In Erwägung: ihr hört auf Kanonen/ – Andre Sprache könnt ihr nicht verstehn – ,/ Müssen wir dann eben, ja, das wird/ sich lohnen,/ Die Kanonen auf euch drehn!“

Wobei die Kanonen vielleicht nicht ganz so wörtlich genommen werden müssten, weil Gewalt auch keine Lösung ist. Kampf aber immer.

Barbara Kaiser – 19. März 2021