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Feuilleton

Voller Zuversicht

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„Bach zum Kirchenjahresende“ – ein Konzert in St. Marien

Wenn der präferierte Fußballklub beim Landespokal gegen einen zwei Klassen niedrigeren Verein erst die Verlängerung braucht, um endlich das Tor zu treffen und zu gewinnen, ist das zum Haare raufen und man braucht was zum Blutdruck normalisieren. Da kam das Novemberkonzert zum Kirchenjahresausklang gerade recht. Kantor Erik Matz hatte dafür ausschließlich Partituren des großen Johann Sebastian Bach herausgesucht, eine Melange aus Concerto, Kantaten, Fantasie und Fuge. Er hatte Thorsten Meyer (Bariton) und ein Instrumentalensemble unter Konzertmeisterin Dorothea Fiedler-Muth eingeladen und ein Projekt-Chorensemble begründet. Das Klangergebnis wurde am Schluss bejubelt.

Zu Beginn saß Matz an der Orgel für Fantasia und Fuge g-moll BWV 542. Er schrieb mir vorher zu diesem Werk, er kenne wahrscheinlich „kein emotionaleres von Bach“. Und so spielte er es auch: Zügig die groß angelegte Fantasia, sich vor zu viel Brei der Klangmasse in den Toccata-Abschnitten hütend. Er stolperte nicht in den dazwischengeschalteten polyphonen Teilen und in der Fuge erst recht nicht, machte sie zauberhaft gläsern. Er bewahrte die herzhaft-fröhliche Beweglichkeit des alten niederländischen Volksliedes, das ihr zugrunde liegt, und fand für die melodische Totalität in gewagter Modulation des Meisters Bach den richtigen Drive. Ein perfekter Auftakt!

Die Kantate BWV 82 „Ich habe genug“, die auf der Geschichte des Simeon fußt, dem prophezeit wurde, dass er nicht sterben werde, ehe er den Messias gesehen hat, gestaltete Thorsten Meyer artikulationsdeutlich, ohne übertriebene Forcierung in den Koloraturen und glaubhaft im Rezitativ. Das kleine Instrumentalensemble glänzte durch wunderbare Oboen und einen selig machenden Hörgenuss der Streicher. Sanft und anschmiegsam. Das freudige Vivace zum Abschluss ist wohl die richtige Einstellung, wenn es daran geht, dem Erdenjammertal zu entkommen. Bach hatte keine Angst vor dem Tod.

Das folgende Concerto in d-moll BWV 1060 war was zum Schwärmen. Voller Spielfreude dargeboten, mit einer Interaktion, die man sich von jedem Instrumentalensemble wünschte. Zwei Mal heiteres Allegro, eines fast wie ein atemberaubendes Presto, und ein Adagio zum Träumen. (Ach, diese Oboen!)
Am Ende der 75 Konzertminuten die „Kreuzstabkantate“ BWV 56, die Leid und körperliche Schmerzen genauso wie das Leben als Schiffsreise thematisiert (Text: Bachschüler und Theologe Christoph Birkmann). Hier gilt es, das Violoncello hervorzuheben, das die Wellenbewegung des Wassers eindringlich vors Ohr stellte. „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“ sang Thorsten Meyer, wobei die Silbe „Kreuz“ auf die Note cis (musikalisches Vorzeichen: ein Kreuz) fällt. Es ist gleich, ob man auf Erlösung hofft oder nicht – diese Musik war ungeheuer tröstlich. Eindringlich musiziert, voller (Glaubens-)Zuversicht dargebracht.
Und so war dieses Konzert eine Verheißung: Im dunklen November mit all seinen Trauertagen auf das Licht des nahenden Advents zu warten, zu vertrauen. Es war künstlerisch und mental ein starker Anker der Vorfreude.

Barbara Kaiser – 14. November 2021

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