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Slash, der fremde Freund für Sanne

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Premiere in Bostelwiebeck löst das Problem des Pflegenotstands

Er fällt durch die Decke und gibt sich als ein vom Gesundheitsamt Gesandter aus. Nun ist nicht jeder Gesandter auch ein Geschickter und es holpert zunächst in der Kommunikation. Dass Oma Sanne, die pfiffige Alte aus Torfbostel, aber Hilfe braucht, wird inzwischen immer deutlicher. Auf die jungen Leute ist ja kein Verlass – Enkelin Angelina telefoniert nur immer mal mit der Oma. Und die Nachbarn werden auch nicht jünger, siehe Oma Elli. Da kommt so ein junger Mann, auch wenn er zunächst für den erwarteten Heizungsmonteur gehalten wird, gerade recht. Sie geben sich also die Hand, es fühlt sich gar nicht fremd an, und die Regie vergisst nicht die berühmte Michelangelo-Geste der Zeigefingerspitzen (zwischen Gott und Adam) aus der Sixtinischen Kapelle.

In Bostelwiebeck hat das Winterstück Premiere: „Sanne und der fremde Freund“ heißt es und stammt aus der Feder von Christina Brons, die auch Regie führte. Anja Imig steht wieder für die Ausstattung dieses 90-Minuten-Spiels, das eine wohltuend nachdenkliche Angelegenheit ist, trotzdem aber witzig und charmant daher kommt. Thomas Matschoß ist die Sanne und nur angemessen albern, diesmal überwiegt die Altersweisheit, gepaart mit einer Prise Tüdeligkeit, die ein wissendes Lächeln auf die Gesichter der Zuschauer zu zaubern vermag. Das Publikum mag diese Sanne ja sowieso und will sich nicht vorstellen, dass sie auch mal sterben könnte. Aber im Sommer 2019 hatte sie ihr Erfinder 100 werden lassen – es war eine reizende Feier mit vielen Gratulanten und der Revue eines Jahrhunderts -, nun rechne jeder selber!

Aber so weit sind wir noch nicht. Jetzt platzt erst einmal „Pepper 2.0“ ins Haus. Ein knackiger junger Mann – nein, eine KI. Eine ziemlich weit entwickelte sogar, deren Phänotypus so gar nicht mit Sannes Vorstellungen kompatibel ist. Die sieht nämlich große Kulleraugen für dieses Spezies vor und dass sie auf Rollen daher kommt. Und blinkt natürlich. Nun, blinken kann der Gast, den Sanne kurzerhand „Slash“ tauft, weil das griffiger klingt als der technische Name. Maurice Schneider ist als Pflegedienstleister Slash ehrlich bemüht. Er scannt sogleich die Wohnung für das 3D-Setup, erklärt Sanne die App, mit der er einzurichten sei. Mehrsprachig natürlich. Schneider ist eine umwerfende KI. Man kniet ja sowieso vor diesem Schauspieler, wenn er Saxophon spielt. Das darf er hier auch, weil Slash ein wissbegieriger und lernfreudiger Roboter ist.

Der Humor des Textes resultiert aus dem wörtlich Genommenen in den Sätzen. Beispiel: „Das sind einfach nicht deine Paar Schuhe“, klagt Sanne, als sich ihr Partner beim Gitarre spielen unsensibel gibt. „Oh, sind das deine?“, erwidert der. Wir lernen: ein paar Redewendungen schaden beim Programmieren der KI nicht. Und so langsam kommen sie sich näher, der Mensch und die technische Intelligenz. Was für eine schöne Illusion! Es wäre die Lösung des Pflegenotstands, wenn die nicht wieder an den Kosten scheitert. Aber man sollte Herrn Lauterbach mal informieren.

Mit seinem KI-IQ ist Slash sogar vorsichtig daran interessiert, was denn wohl Gefühl sei. Nur Quizduelle mit ihm machen keinen Spaß, weil er alles weiß. Und die Sache mit der Ironie klappt auch nicht ohne Missverständnisse. Dafür hat er die Musik der alten Schallplatten in seiner Cloud abgespeichert und kann das Vinyl entsorgen. Eine schreckliche Vorstellung – wahrscheinlich macht er das später mit Büchern genauso?

Kristin Brons

„Alles, was schön ist, verschwindet“, sinniert Sanne einmal. Von den sieben Katzen blieb nur eine aus Porzellan. Da nützt es auch nicht, dass alles virtuell vorhanden bleibt. Abstellen jedoch will die Oma ihren neuen Freund auch nicht. Nicht einmal als sie erkennen muss, dass sie für ihn nur ein „Job“ ist. Seine Gesellschaft ist trotzdem unterhaltsam, auch oder gerade auch wegen der vielen kleinen Patzer und Unwägbarkeiten.

Es kommt also was auf uns zu! Bleibt zu hoffen, dass bis zur Einführung der Slashs alle schnelles Internet haben, sonst stünde der Mann nur in der Ecke. Christina Brons hat für ihre zwei Akteure einen Text erdacht, der Möglichkeiten und Grenzen der KI anreißt. Dass sie nicht gesellschaftlich relevanter und konkreter wurde, ist vielleicht gut, denn das wäre Agitation geworden. So aber ist es ein flottes und sehr liebenswertes Spiel. Mit Musik, natürlich. Und hübschen Lichteffekten in Form alter Stehlampen. Und wenn Oma Sanne singt: „Ich verlasse die Tafel, ich bin raus aus dem Spiel“, so darf man das mit 104 schon mal sagen. Aber jetzt geht`s doch erst noch mal richtig los mit diesem neuen Freund!

Premiere ist am Freitag, 17. November 2023, um 19.30 Uhr im Theaterhaus Bostelwiebeck. Weitere Aufführungen: 18., 24./25. November, 01./02., 08./09. Dezember 2023. Kartentelefon: 05807/979971 oder bei www.reservix.de

Barbara Kaiser – 15. November 2023

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