Das Beethovenjahr ist ja nun recht leise an uns vorbeigezogen. Es ist einfach schade. Auch die Winterkonzertreihe mit Hinrich Alpers, der uns die 5. Sinfonie (und natürlich die 9.) seiner Einspielung der Sinfonien noch schuldig ist, fiel aus. Die Musiker, Schauspieler und Kulturschaffenden kämpfen weiter ums Überleben, aber dazu habe ich auf der Feuilleton-im-Netz-Seite dieses Magazins schon viel geschrieben. Darbt man aber als Kulturberichterstatter auch? Oder sucht man sich Aufgaben? Herausforderungen vielleicht sogar? Ich habe eine gewisse Summe investiert und einen Selbstversuch unternommen, auf den man nur kommen kann, wenn es viel freie Zeit zu füllen gilt. Denn wie habe ich neulich gelesen: Zu viel Zeit ist schlimmer als die tägliche Alltagshatz.
Nun war ich eigentlich noch nie jemand, der sich mit sich selbst gelangweilt hätte. Aber das, wovon hier zu schreiben ist, hatte ich noch nicht versucht: Angelehnt an die Alpers-Konzertreihe mit den Beethoven-Sinfonien in den Lisztschen Partituren für Klavier, habe ich Aufnahmen von sechs Interpreten angehört. Immer wieder. Mit erstaunlichem Ergebnis. Der Name Beethoven sei heilig in der Kunst, schrieb Franz Liszt im Vorwort der Klaviertranskriptionen, die er in den Jahren 1840/63 herausgab. Heilig hin oder her: Zu viel Denkmalsockel schadet auch. Gustav Mahler wird der Satz zugeschrieben, dass Tradition die Weitergabe des Feuers sei und nicht die Anbetung der Asche. Wie also gingen die von mir ausgewählten Pianisten mit Beethoven/Liszt um? Ich könnte hier eine Reihenfolge aufstellen, mache ich aber nicht, weil es Geschmackssache bleibt, warum man eine Interpretation gut findet und die andere nicht. Aber die Auffassungen und Unterschiede waren doch immens. Es liegen Welten zwischen dem Spiel von Idil Biret, geboren 1941 in Ankara, Cyprien Katsaris, Jahrgang 1951, Franzose mit zypriotischen Wurzeln, Konstantin Scherbakow, Russe des Jahrgangs 1963, Paul Badura-Skoda, Wien 1927 bis 2019, Glenn Gould, dem genialen Kanadier, 1932 bis 1982, und Hinrich Alpers, dem 1981 geborenen Uelzener. Den Schwerpunkt habe ich auf die 5. Sinfonie gelegt, weil wir die noch hören werden.
Die Frage, ob man eine Sinfonie für Orchester aufs Klavier herunterbrechen darf, erübrigt sich. Die Werke büßen ja ihre Farben auch in der Klavierfassung nicht ein, sie ändern vielleicht ihren Charakter. Ich persönlich finde inzwischen so manche Klavieraufnahme besser als die Orchesterfassung (Pardon, lieber Ludwig!). Zum Beispiel der zweite Satz der Sinfonie Nr. 1. Wie Liszt dort die kleine Motivmelodie als eine Art Kanon immer wieder auflegt, das geht süßlich zwischen Geigen, Holzbläsern und Flöten in der Orchesterfassung unter!
Und die Fünfte, dieses Dadada daaaa? Die sechs Pianisten meines Selbstversuches oszillieren zwischen Brillanz und Spannungslosigkeit. Zwischen der Bravheit und Bemühtheit eines Klaviereleven (man glaubt die Zungenspitze zwischen den Lippen der Anstrengung zu erkennen und die Erleichterung zu hören bei einer geschafften Akkord-Chromatik) und strotzender Energie. Sie interpretieren mit Eleganz und Attacke eines selbstbewussten Solisten, mit ganz viel Pedal und Tremolo und trotzdem ganz klarsichtig. Oder eher kleingeistig und schaumgebremst. Vielgestalt, Überwältigung, Überraschung und Kraft stehen einer gewissen Mattigkeit und Uninspiriertheit gegenüber. Dazu kommen quälend langsame Tempi, andererseits Frische und Sturm. Natürlich könnte ich diese Merkmale alle zuordnen, werde mich aber hüten. Vielleicht haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, Lust bekommen, sich selbst mal ins Experiment zu stürzen?