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Feuilleton

Seine Arbeit war immer auch Erinnern

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In Memoriam: Werner Steinbrecher, * 1946

Zu seinem 60. hatte Werner Steinbrecher in ein Eis-Café nach Ebstorf eingeladen. Es war eine kleine Runde, denn über materielle Reichtümer verfügte der Künstler nicht, obwohl er zwei Studienabschlüsse besaß. Für seinen 62. Geburtstag mussten die Gäste sich auf den Weg ins Hospiz nach Bardowick machen; wir waren in der Kaffeerunde zu viert. Fünf Wochen später erlag Werner Steinbrecher seiner Krankheit. Viel zu früh. Am 21. September 2021 wäre der Maler 75 Jahre alt geworden. Eine Erinnerung:

Die Nachricht von seinem frühen Sterben war damals so unfassbar, wie die Tatsache unverhandelbar blieb. Er hatte den Kampf verloren gegen eine Krankheit, deren Heimtücke darin besteht, dass sie Atempausen einlegt; in denen sofort die Hoffnung keimt, es könnte doch gut ausgehen, die dann jedoch umso gnadenloser zuschlägt und dabei höhnisch zu lachen scheint. 

Ich hatte mit Werner Steinbrecher  einen Freund verloren, der mir heute, 13 Jahre nach seinem Tod,  mehr denn je fehlt. Denn an seinem Tisch konnte ich „laut denken“, wie es der nordamerikanische Dichter und Philosoph  Ralph Emerson  als eine nötige Voraussetzung für die Vergabe des Ehrentitels „Freund“ benennt. Wie oft hatten wir gemeinsam an seinem Tisch in Allenbostel  beim Tee, in einem Ebstorfer Gasthaus bei Abendbrot und Wein oder auch an meinem heimischen Tische laut gedacht. Viel zu selten. Immer aber gaben solche Zusammenkünfte das Gefühl, da ist einer, der sieht die Welt ähnlich. Der macht sich die gleichen Gedanken, Sorgen auch. Der will sich mehr auf seine schmalen Schultern laden, als er zu stemmen in der Lage wäre und ist manchmal mutlos angesichts von Ignoranz und Dummheit. Tief zufrieden andererseits, wenn etwas gelang. Manchmal hatten wir uns auch gegenseitig versichert, dass es hier wohl nicht so einfach ist. Wir durften das, wir waren beide „Zugereiste“. – 

Werner Steinbrecher war nicht mehr da. Es ist bis heute nicht zu begreifen, dass der bescheidene und immer hilfsbereite Mann, der sensible Künstler und Gesprächspartner, jetzt nicht mehr anzurufen ist. Geboren im Jahr 1946 im Rheinland, besaß Werner Steinbrecher die Zeugnisse über abgeschlossene Studiengänge der Architektur und der Malerei. Als ich ihn vor mehr als 20 Jahren kennen lernte, lebte er schon eine Weile in der Heide und malte seit langem keine Menschen mehr. Er hatte sich aus dem Strudel der Großstadt Berlin (West) zur Wendezeit 1989 nach Allenbostel zurückgezogen. „Ich war damals der Meinung, Kunst hat etwas mit Reflexion der Gesellschaft und Einflussnahme zu tun“, sagte er im Februar 1999 anlässlich einer Ausstellung. Diese Erwartungen wurden enttäuscht. Der Umzug war so auch Flucht und ein wenig Kapitulation.

Vielleicht hatte er hin und wieder mit dieser Entscheidung gehadert, letztlich jedoch gehörte er hierher. Damals setzte er in seiner Kunst die Erkenntnisse des Philosophen Ludwig Wittgenstein um. Er sollte diesen „Schriftbildern“ bis zuletzt treu bleiben. Er hat, wie der Philosoph, mit seiner Kunst den Kampf geführt gegen  die „Verwirrung unseres Verständnisses durch Sprache“.  Nur das Sprachspiel, das Wittgenstein den Menschen unterstellte, spielte der Maler und der Mensch Steinbrecher nicht mit. Nie sprach er mit zwei Zungen, er war immer verlässlich in seinen Ansichten, ohne blind vor eitlem Bescheidwissen zu sein. Der politische Mensch Steinbrecher war so entschieden wie zurückhaltend gefeit gegen die Anfechtungen von bloßem Selbstdarstellertum. Er hat manch bittere Wahrheitssuche nie einer tröstenden Selbstberuhigung oder gar Lüge geopfert. Nur so sind seine Arbeiten, die immer auch Erinnern und Mahnen waren, zu begreifen.

Sein viel beachtetes Projekt „Eine Kiste im Keller“ zum Beispiel, mit dem er die Feldpostbriefe seines Vaters aufarbeitete und dazu erschütternde Bilder fand. Überhaupt ließ ihn die Geschichte der Elterngeneration nicht ruhen. Er beklagte, dass diese ihre Erinnerungen nie „in den politischen Kontext der historischen Ereignisse zu stellen“ vermochten. Der Künstler hob Privates und seine Kunst gleichzeitig in den Rang von Allgemeingültigem, ohne es an Differenzierung fehlen zu lassen. Das machte es ihm nicht leicht, weil Erinnern auch Arbeit ist. Aber an einem der Hauptsätze Wittgensteins, der da lautet: „Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“, hat sich Werner Steinbrecher wohl nie orientiert. 

Werner Steinbrecher hat nie lange im eigenen Erfahrungstunnel festgesteckt und auf ein bisschen fremdes Licht gewartet. Er war aktiv im Bund Bildender Künstler Uelzen und die Ergebnisse seiner künstlerischen Aktivitäten sind zahlreich: Die Geschäftsstellen der Sparkasse Uelzen trugen die farblichen Kompositionen aus seinem Atelier. Im Rathaus Uelzen hängen die zwei Großformate mit der Darstellung Uelzener Firmen. Nicht unerwähnt bleiben darf sein Engagement für die Arbeitsloseninitiative IDA, wo er mit Jugendlichen die Wände am sozialen Kaufhaus gestaltete. Und die Hauptsache, Arbeit der letzten Jahre, der Auferstehungsweg von Hanstedt I nach Ebstorf und der Schöpfungsweg von Ebstorf nach Melzingen. Diese starken Bilder, die die alten Geschichten auf so unverwechselbare Weise erzählen, werden bleiben von Werner Steinbrecher. 

Vielleicht empfindet der Wanderer intensive Entspanntheit in deren Wirkung. Eine Entspanntheit, die aus der Erfahrung kommt, sich an entscheidenden Punkten treu geblieben zu sein; an Abgründen des Lebens, bei Zweifelsleere. Werner Steinbrecher war ein Kämpfer, kein Krieger. Einer von den leisen, die dennoch mit Nachhaltigkeit wirkten. Er hat „Auferstehung“ geerdet mit seiner Malerei. –

Ich hatte mit diesem Menschen und Künstler Werner Steinbrecher eine Begegnung, die nie Kumpanei werden wollte, wir waren per Sie bis zum Ende. Ich habe seine Klugheit geschätzt, eigene Moral zu behaupten, aber sie für keinen Augenblick als allgemeines Gesetz anderen zu oktroyieren. Er war ein Zuständiger und noch nicht am Ziel. Die Werner Steinbrecher kannten, wussten, jedes Ziel wäre ihm nur Etappe gewesen. 

Im Oktober 2008 starb der Künstler. Die Schar der Trauergäste war sehr groß, auch ein Ausdruck der Wertschätzung für einen Mann, der stets er selbst geblieben war und hellwach gesellschaftliches Tun beobachtete. Einmal im Jahr stelle ich ihm eine weiße Rose auf sein Grab und sage ihm, wie sehr er mir fehlt. Als Gesprächspartner und Freund. Gerne hätte ich ihm anlässlich seines 75. berichtet, dass seine Kollegen eine Ausstellung mit seinen Werken organisiert haben. Leider nicht.

Barbara Kaiser – 16. September 2021

Steinbrecher 2005 vor Hanstedter Kirche

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