Es war im sehr frühen Frühling 2010, als ich mich durch heftiges Schneetreiben nach Wichmannsburg kämpfte, um das Gründungskonzert der jungen Truppe „10 for Brass“ nicht zu verpassen. Zum Glück waren damals andere auch so mutig, und so geriet dieser erste Auftritt um das Gründungsmitglied Swantje Vesper (Horn) zu einem richtigen Triumph. Die Studenten von damals, die in Hamburg, Köln, Berlin und Weimar ihr Instrument studierten, rissen das Publikum hin. Anders kann man es auch in der Rückschau nicht sagen.
Die Idee, in dieser Formation „auf hohem Niveau zu musizieren“, wie sie es damals in der Moderation ansagten, verriet hohes Selbstbewusstsein und durfte neugierig und gespannt machen. Zehn (eigentlich 12) für Brass, zehn für eine Blechbläserformation, wie sie sich vor 200 Jahren in Großbritannien entwickelte (brass = engl.: Messing). Blechbläser, diese sensiblen Stellen eines jeden Orchesters. Schmetternde Trompeten, schmachtende Posaunen und Hörner, die bedächtigere Tuba dazu.
Jetzt war „10 for Brass“ wieder da, feierte mit einem Jahr Verspätung seinen zehnten Geburtstag. Die Studenten von damals, neun von 12 sind noch dabei, haben sich etabliert und spielen in renommierten Orchestern wie den Bamberger Symphonikern, den Berliner Philharmonikern oder im WDR Funkhausorchester. Sie hatten Auftritte zwischen der Elbphilharmonie und Japan, veröffentlichten drei CDs und sind mehrfach ausgezeichnet.
Auf die Frage, warum man sich die Arbeit in solch kleinem Ensemble immer noch antut angesichts der weite Anreisen zu notwendigen Proben, antwortet Swantje Vesper schlicht: „Wir kennen uns alle sehr gut, sind auch befreundet.“ Und in solch einer Formation sei es eine ganz andere Art des Musizierens, das einfach nur Spaß mache.
Das Konzert im 4. St.-Marien-Sommerkonzert war ein „Best of“ der zehn – eigentlich elf – Jahre „10 for Brass“. Es bewies die Vielfalt und den Variantenreichtum dieser Instrumentalbesetzung. Da spielten immer noch Solisten zusammen, die sich nicht einzeln profilieren wollten, sondern makellosen Klang im Miteinander erstreben. In flexibler Dynamik, virtuos auftrumpfend. In feinnerviger Wiedergabe und silbriger Transparenz.
Beginnend mit dem Bach-Concerto D-Dur, hatten die Instrumentalisten die zahlreichen Zuhörer sogleich auf ihrer Seite. Stimmgewaltig-fröhlich das Allegro, zum Anbeten das Legato (Larghetto) mit Bachtrompete. Des Meisters Weckruf „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ (BWV 140) hätte es nicht bedurft: die Zuhörer waren hellwach.
Danach entführte das Ensemble ins Venedig der Renaissance mit Giovanni Gabrielis „Canzon XIV“ und in die Sowjetunion des Jahres 1954, wo Dmitri Schostakowitsch eine „Festliche Ouvertüre“ für den 37. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution in nur drei Tagen komponierte.
Nebenbei: Dass die Moderation in diesem Falle so ignorant (oder arrogant?) war und von „Schikanen in Russland“ sprach, die den Komponisten wohl antrieben, schmälert mir immer den Musikgenuss. Im Oktober 1954 war Stalin schon eineinhalb Jahre tot und Schostakowitsch ein hochangesehener Künstler. Und das Land hieß immer noch Sowjetunion.
Mit der musikalischen Geschichte von „William and Mary“ – William III. von Oranien, der Ende des 17. Jahrhunderts Stadthalter der Niederlange war und nach dem Tod seiner Frau auch König von England, Schottland und Irland – strebte das Konzert seinem Ende entgegen. Der Brite Derek Bourgeois (1941 bis 2017) setzte für diese Liebesgeschichte die Noten, die ein vielstimmiges Spektakel sind. Flott und meist tonal.
„10 for Brass“ wussten das Ganze fein timbriert aufzuführen. In sehr kultiviertem Ton
erklang auch das Schlusspanorama, die für das Ensemble eigens von Steven Verheilst (*1976) komponierte „Fanfare“. Die klingt wie im Hollywoodfilm kurz vorm Happyend.
Und überhaupt: Wenn, wie in der Ankündigung versprochen, in diesem Konzert das „Best of“ aus elf Jahren zur Aufführung kommen sollte, dann müssen es Jahre voller Glanz gewesen sein. Eigentlich haben die Akteure damit gehalten, was sie damals, in Wichmannsburg, versprachen: Kammermusik auf hohem Niveau.
Am kommenden Samstag, 31. August 2021, sitzt Merle Hillmer für das 5. Sommerkonzert an der Orgel und spielt europäische Tänze aus fünf Jahrhunderten. 16.45 Uhr, St. Marien.