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Oskar Pohlmann – Ermordet in Hadamar

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Foto: Familie Pohlmann, Covergestaltung: Initia Medien und Verlag UG (haftungsbeschränkt)

Ein Familiengeheimnis

Es muss den damals 76-jährigen Neffen 2014 in Mark und Bein getroffen haben. Bei Nachforschungen über das Schicksal verstorbener Familienmitglieder erfährt er völlig unerwartet, dass sein Onkel Oskar Pohlmann am 6. Juni 1941 in Hadamar Mönchberg an einer Mittelohrentzündung verstorben und am folgenden Tag in einem Krematorium in Wiesbaden eingeäschert worden sei. Die Urne wurde am 30. Juni 1941 in Bodenteich beigesetzt. – Doch Hadamar Mönchberg ist die Anschrift einer der sechs NS-Gasmord-Anstalten. Allein hier sind von Januar bis August 1941 mehr als 10.000 Menschen in der Gaskammer heimtückisch erstickt worden. Haben ihm nicht Mutter und Oma immer erzählt, so erinnert sich der Neffe, Onkel Oskar und Onkel Hans, der ältere Bruder von Oskar, seien „im Krieg umgekommen“? Seit Jahrzehnten war er der Überzeugung, dass beide Onkel als Soldaten an der Front gefallen seien. Erst mehr als siebzig Jahre nach dem gewaltsamen Tod der Brüder Pohlmann kommt ein lange verschwiegenes Familiengeheimnis ans Licht. Onkel Hans ist in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg (1942) Opfer der NS-„Euthanasie“ geworden. Über das Schicksal von Onkel Oskar erhält der Neffe von der Gedenkstätte Hadamar fundierte Auskunft. Danach wurde Oskar Pohlmann im April 1941 von der Anstalt Lüneburg zunächst in die Zwischenanstalt Herborn verlegt. Zwischenanstalten sind Wartesäle des Todes. Nur wer vorher stirbt, kann der Ermordung in der Gaskammer entgehen. Die hier untergebrachten Patienten waren wenige Monate zuvor in ihren Heimatanstalten von ärztlichen „Gutachtern“ anhand von „Meldebögen“ als „Lebensunwerte“ und „unnütze Esser“ zur „Ausmerze“ freigegeben worden, wie es im menschenverachtenden NS-Jargon hieß.

Gemeinsam mit dem Autor hat der Neffe in jahrelanger Arbeit die Akten über Oskar Pohlmann in verschiedenen Archiven zusammengetragen und das Schicksal seines Onkels nachgezeichnet. Am 21. Mai 1941 wurde Oskar Pohlmann mit 90 weiteren Lüneburger Patienten von Herborn in die Tötungsanstalt Hadamar transportiert. Noch am gleichen Tag werden alle in der Gaskammer durch Kohlenmonoxid ermordet und in Krematoriumsöfen im Keller verbrannt. In 24 Stunden werden lebende Menschen zu Asche „verarbeitet“. Durch die ausgeklügelte Fälschung amtlicher Dokumente werden die Angehörigen über das Schicksal ihrer Angehörigen systematisch hinters Licht geführt. Das Vergessenmachen der Vernichtung gehörte zur Strategie der Täter. Erst aus der erhalten gebliebenen Krankenakte (Bundesarchiv Berlin, Niedersächs. Staatsarchiv Hannover) erfährt der Neffe von einer schizophrenen Erkrankung seines Onkels, über die in der Familie kein Wort verloren wurde. Im Mai 1934 war Oskar Pohlmann erstmals in die Psychiatrische Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg eingewiesen worden. Als „minderwertiger Erbkranker“ betrachtet, musste er sich vor seiner Entlassung 1935 einer Zwangssterilisation unterziehen. Nach einem Rückfall war er ab Februar 1936 Dauerpatient in der Lüneburger Anstalt und wurde trotz mehrjähriger Stabilisierung nicht wieder entlassen. Ende Juli 1940 verweigerte Oskar Pohlmann schließlich die Arbeitstherapie und wird von den „ärztlichen“ Gutachtern als „unheilbar“ deklariert. Am 22. April 1941 gibt es eine letzte ärztliche „Visite“ mit dem Todesurteil: „Ungeheilt nach Herborn“. Noch am gleichen Tag wird der 37-Jährige in einem Sammeltransport (121 Männer) nach Herborn verlegt. Nur zwei Männer entkommen in Hadamar durch Zufall der Vernichtung. [Dieter Thiel]

Das gleichnamige Buch

… erscheint im September. In ihm zeichnet Autor Dieter Thiel das Schicksal Oskar Pohlmanns nach und erläutert damit beispielhaft die Entwicklung und Organisation der perfiden NS-„Euthanasie“, die letztlich als Muster für den Massenmord in den NS-Vernichtungslagern des Holocaust diente. 

Dieter Thiel:
Oskar Pohlmann – ermordet in Hadamar
Ein Familiengeheimnis
196 Seiten, Softcover, A5
ISBN: 978-3-947379-29-3
Preis: 14 Euro

Erhältlich bei Initia Medien und Verlag UG
(haftungsbeschränkt) unter Tel. 0581  971 570 60

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