Seite lädt...

Allgemein Beliebte Beiträge Dit & Dat

Mikroabenteuer in Bienenbüttel

teilen

Einfach mal raus in die Natur, etwas tun, was man sonst nicht macht. Mikroabenteuer nennt sich das. Besonders für Stadtmenschen kann das eine echte Herausforderung sein, aber auch, wer in ländlichen Regionen wohnt, ist oft im Alltagstrott gefangen und folgt nur noch Routinen.

Erfinder des Trends ist der Brite Alastair Humphrey, der 2014 das Buch „Microadventures“ herausgebracht hat. Er versteht unter einem Mikroabenteuer eine Outdoor-Unternehmung, die kurz, einfach, lokal, günstig und trotzdem aufregend, lustig, herausfordernd, erfrischend und bereichernd ist. In Deutschland ist der Hamburger Christo Förster der Vorreiter, der bereits einige Bücher zu dem Thema veröffentlicht hat. Er hat für seine Mikroabenteuer Folgendes festgelegt: Maximal 72 Stunden nur mit Zug, Bus, Fahrrad oder zu Fuß unterwegs, draußen übernachten, und in der Natur alles so hinterlassen, wie es vorgefunden wurde. Die Idee dahinter ist, auch im Alltag spontan Abenteuer zu bestehen, ohne weit reisen oder sich teure Ausrüstung kaufen zu müssen. Im Februar übernachtete Förster bei -6 Grad und Schneefall in einer Hängematte im Wald (allerdings mit entsprechender Ausrüstung) und paddelte auch schon auf einem Stand-up-Board nach Helgoland.

Das ist mir eindeutig zu viel des Abenteuers. Auch mal eben 20 km mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, ist mir Unsportlichen eindeutig zu anstrengend. Aber so extrem muss es ja auch nicht sein. Ein Mikroabenteuer soll Spaß machen, schnell umsetzbar und günstig sein. Man sollte sich allerdings vorher informieren, was man in der Natur darf und was nicht – auf einen Hochsitz zu klettern ist genauso wenig erlaubt, wie irgendwo ein Zelt aufzuschlagen.

Ich entscheide mich dazu, eine Stunde den Bach entlang zu laufen, der in der Nähe meines Hauses in Bienenbüttel fließt, und zu gucken, wie weit ich komme. Mein Mann ist total begeistert von diesem Outdoor-Abenteuer und möchte am liebsten unterwegs noch Bachwasser aufbereiten und trinken (natürlich hat er das entsprechende Equipment), ich bin aber dagegen – es soll ja ein einfaches Abenteuer sein.

An einem Freitag Nachmittag im April gehen mein Mann und ich los, mit vernünftigen Wanderschuhen und warmen Jacken – es ist bedeckt und kühl. Wir starten in einem Wäldchen. Es macht keine Mühe, über Äste zu gehen oder Bäumen auszuweichen. Allerdings ist schon nach drei Minuten Schluss – wir müssen die Bachseite wechseln, weil ein Zaun den Weg versperrt. Kein Problem, es gibt eine betonierte Brücke. Der Wald ist bald zu Ende und wir laufen auf nicht genutzten, sehr unebenen Kuhweiden mit vielen Maulwurfshügeln. Teilweise ist der Boden richtig aufgewühlt, hier waren wohl Wildschweine am Werk. Immer wieder versinken die Schuhe in Wasser und Schlamm – die Wiesen sind ganz schön nass, Laub und Gras verdecken, wie matschig die Stellen wirklich sind.

Der Bach windet sich durch Weiden, die zum Teil mit Stacheldraht umzäunt sind. Hier scheint schon lange kein Vieh mehr gestanden zu haben, der Zaun ist an vielen Stellen defekt. Wir genießen das Zwitschern der Vögel, schrecken auch ein Entenpaar auf, dem wir offenbar zu nahe gekommen sind. Immer wieder unterbrechen Entwässerungskanäle das Grün. Mein Mann hüpft einfach drüber, ich traue mich nicht so recht. Ich nutze Kanalrohre zum Draufsteigen (sofern vorhanden), an breiteren Kanälen zieht mein Mann mich hinüber. Gut, dass er dabei ist!

Auf einer Weide finden wir einen skelettierten Rehschädel und inspizieren ihn interessiert. Das Tier hatte wohl einen Überbiss, eine Zahnreihe ist ungleich abgeschliffen. Etwas später schießt plötzlich ein Hase hinter einem höheren Grasbüschel hervor – ich wusste gar nicht, dass die so schnell rennen können!

Wir müssen an einer Stelle ganz nah am Bachufer laufen, weil die Weide daneben eingezäunt ist und wir sonst nicht weiter kämen; es ist aber noch genug Platz, um nicht bei jedem unbedachten Schritt in den Bach zu fallen. An einer Stelle finden wir einen umgestürzten Baum, dessen Stamm schon teilweise von hohem Gras verdeckt ist. Ich kann nicht anders, ich muss darauf herumklettern – das Mikroabenteuer soll ja Spaß machen, und klettern mochte ich schon immer gerne!

Nervig sind allerdings die Mückenschwärme, die am Bach schwirren. Mund zu und durch, damit ich sie nicht einatme. Wir diskutieren, ob sie stechen, mein Mann meint, das seien keine Mücken sondern Fliegen. Eine Internetrecherche hinterher ergibt: Es sind Zuckmücken, die nicht stechen und kein Blut saugen, auch bekannt unter den Namen Tanz- oder Schwarmmücken – wieder etwas gelernt!

Unser Mikroabenteuer führt uns schließlich an einen Teich mit drei verfallenen Hütten. Eine defekte Hollywoodschaukel, eine Plastikparkbank, eine zerschlissene Matratze – hier liegt ganz schön viel Müll herum. Es ist ohnehin erschreckend, wie viel Metall- und anderer Schrott in der freien Natur zurück gelassen wurden.

Die fünf wichtigsten Regeln für ein Mikroabenteuer nach reisespatz.de lauten:

1. Sei spontan.

2. Bewege dich in der Natur.

3. Geh zu Fuß, fahre mit dem Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln.

4. Verlasse alles so, wie du es vorgefunden hast.

5. Du definierst, was für dich ein Abenteuer ist.

Als wir den Ententeich erreichen, sind wir schon eine Stunde unterwegs – ich will zurück. Dafür müssen wir über einen Entwässerungskanal. Ich gehe einen kleinen Umweg, weil ich mich nicht traue zu springen. Dabei ist das Schlimmste, was passieren könnte, dass meine Füße nass werden! Eine Stunde nach Hause zu laufen mit nassen Füßen wäre zwar nicht schön, aber auch nicht wirklich schlimm. Erst im Nachhinein merke ich, wie zivilisationsgeschädigt wir sind. Bei Regen gehen wir nicht spazieren, wir könnten ja nass werden. Bei Schnee ist es zu kalt draußen. Mein Mann lästert immer, dass ich nirgendwo hin will, wo kein WC in der Nähe ist – ja, dazu stehe ich auch! Aber in den Bach zu fallen, sofern man nicht bei Minusgraden auf dem Weg zur Arbeit ist, ist höchstens unangenehm.

Wir wollen nicht denselben Weg zurück, sondern den kürzeren an der Straße entlang. Um die nächste zu erreichen, müssen wir über den Bach – es gibt aber keine Brücke, nur einen umgefallenen schmalen Baum, dessen Wipfel im Wasser liegt. Mein Mann klettert und landet mit einem Fuß im Nassen. Ich versuche, das zu vermeiden (meine Überlegungen zu nassen Füßen mache ich erst später), und hangele mich an den Ästen soweit es geht über den Bach. Dann setze ich mich auf einen Ast, der ans andere Ufer reicht und rutsche nach und nach hinüber. Drüben zieht mein Mann mich hoch – geschafft!

Ich bin glücklich, nicht in den Bach gefallen zu sein. Fast euphorisch gehen wir querfeldein bis zur nächsten Straße und von da Richtung Heimat, unterwegs überlegen wir, was wir als nächstes Mikroabenteuer machen. Nach einer guten halben Stunde sind wir wieder zu Hause. Der Weg am Bach entlang war eindeutig länger – aber spannender!

Das war jetzt keine Heldentat, nichts Spektakuläres, kein Abenteuer, über das man schreiben müsste? Stimmt! Aber etwas, das ich sonst nie tun würde – und es hat Spaß gemacht, brauchte keinen großen Vorlauf und ließ sich schnell umsetzen; genau so sollten Mikroabenteuer sein. Demnächst laufen wir am Bach entlang in die andere Richtung.

Viele Tipps für Mikroabenteuer finden sich auf christofoerster.com (er hat auch einen Podcast), Tipps für Abenteuer mit Kindern auf und was im Wald erlaubt ist und was nicht, gibt es u.a. auf forstpraxis.de.

Viel Spaß!