„Du mogelst!“, lachte ich auf dem Markt einen Brillenträger an, bei dem gerade zwei Sachzwänge kollidierten und er zwecks besserer Sicht seine Maske lupfte. Eine Begegnung im Freien mit befreitem Lachen. Mein Geld auf einer Postkarte als empfohlene Karten-Zahlung zu präsentieren sorgt als „Running Gag“ auch nach einem Jahr noch bei Kassiererinnen und Händlern für Heiterkeit und die Einsicht: „Man sollte in diesen Zeiten seinen Humor nicht verlieren.“ „Nicht, dass er noch in falsche Hände gerät“, ergänze ich gerne.
Der Versuch, sich Humor, Freiheit und Lebendigkeit zu bewahren, kommt aber nicht überall gut an. Nicht wenige Menschen haben sich aus Furcht, Resignation oder auch aus Überzeugung in Sachzwängen und Beschränkungen eingerichtet und erwarten diese Ergebenheit auch von ihren Zeitgenossen.
„Ikiru“, ein japanischer Film von 1952, erzählt davon. „Ikiru“ heißt „leben“, „Einmal wirklich leben“ der deutsche Titel. Es ist die Geschichte des Leiters der Beschwerdeabteilung einer Stadt, dessen Ehrgeiz laut Kommentar aus dem Off nur noch darin bestand, seinen Platz zu behaupten, „beschäftigt“ zu sein und nicht durch besondere Leistungen aufzufallen. Eigentlich sei er lebendig tot. „Unterbeschäftigt und viel zu viel zu tun“ klingt in „Rette mich (vor mir selber)“, einem Lied von „Element of Crime“, wie das „Lebens“-Motto dieses Abteilungsleiters und vieler Existenzen heute, die in Trägheit, Gleichgültigkeit bis hin zu Lieb- und Leblosigkeit ihr Dasein fristen.
Als er die Diagnose Krebs im Endstadium erhält, wird ihm sein Zustand bewusst und er bedauert, sein Leben vertan zu haben. Wie Wilhelm Voigt in Zuckmayers Hauptmann von Köpenick drängt sich ihm die Frage auf: „Wat haste jemacht mit dein‘ Lebn?“ Bemüht, seinem Leben noch einen Sinn zu geben, verwirklicht der Protagonist einen Kinderspielplatz, den einige Mütter schon mehrfach vergeblich beantragt hatten. Er behelligt und nervt höchstpersönlich die zuständigen Abteilungen und Vorgesetzten, bis der Spielplatz schließlich steht – und er selbst zufrieden stirbt. Mit Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten sind uns drei Ereignisse in den Kalender geschrieben und ans Herz gelegt, die mit Jesu Worten „Ich lebe und ihr sollt auch leben“ der Redewendung „Leben und leben lassen“ eine größere Dimension geben als sie gemeinhin verstanden wird. Nämlich Glück und Leben zu teilen, sein eigenes Leben (ein wenig) zu lassen, um dadurch anderen Leben und Lebensqualität zu ermöglichen.
Die Geste aus der Star-Trek-Serie und der eigentlich jüdische Gruß „Frieden (bzw. Wohlergehen) und langes Leben“ ist mir schon lange in Fleisch und Blut übergegangen. Jüngst las ich, dass „chai“ oder „hai“ auf Hebräisch „lebe(n)“ heißt. Daran will ich denken, wenn ich künftig mit „Hi“ grüße.