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Kunst muss auch aufschreien

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Zur Ausstellung von Claudia Krieghoff-Fraatz in Oldenstadt/Vernissage Samstag, 15. Oktober, 17 Uhr

Es ist fast 15 Jahre her, dass ich fasziniert vor den magischen Bildern von Claudia Krieghoff-Fraatz stand. Sie malte damals in einem Volkshochschulkurs, der die Ergebnisse seiner Arbeit präsentierte. Die Arbeiten der Malerin aus Bahnsen schöpften aus der Motivwelt von Sagen und Mythen; sehr romantisch, sehr idyllisch, handwerklich solide und voll der Fantasie. Ein paar Jahre später wurden diese Bilder schon gebrochen durch eine gewisse Ironie, durch Sarkasmus auch. Da schaute den Betrachter beispielsweise eine missmutige Mona Lisa an unter der Überschrift „Sie hat den Blues“. Oder es gab einen Bischofskopf  mit dem Titel „Scheinheilig“.

Claudia Krieghoff-Fraatz zwischen den Emojis „Angst“ und „Depression“.

Jetzt jedoch bieten die Bildwelten der Künstlerin nicht länger Fluchtfantasien an. Der Titel „Umbruch oder Die Präraffaeliten sind tot“ ist Konfrontation. Die präraffaelitische Kunst war bekannt für ihre leuchtenden und lebendigen Farben. Die akribischen Bilder zeigten wunderschöne Frauen und eine ideale Welt.

Dass es so in der Realität nicht ist, wusste Claudia Krieghoff-Fraatz natürlich schon damals, als sie diesen Stil für sich adaptierte. Aber es mag auch Spaß gemacht haben. Aber nicht erst im Jahr 2022 steht die Wirklichkeit in nie gekannter schroffer Weise der erhofften besseren Welt gegenüber. Und weil die 52-Jährige sich nicht an die Spassss-Gesellschaft anlehnen will, macht sie einen harten Schnitt. „Kunst muss auch erschrecken, wehtun, abstoßen“, sagt sie. „Sie muss aufschreien in dieser Zeit!“ Deshalb ging Krieghoff-Fraatz einen künstlerischen Weg, der jetzt eine Ausstellung hervorbrachte, die niemanden unberührt lassen dürfte. Wenn er denn ein Herz hat.

Verstand und Gefühl: Hommage an Jane Austen.

Am Samstag, 15. Oktober 2022, ist um 17 Uhr Vernissage in der Galerie des BBK in Oldenstadt. Geöffnet sein wird diese bemerkenswerte Ausstellung dann am Sonntag, 16. Oktober, und an den Wochenenden 22./23. und 29./30 Oktober 2022. Immer von 15 bis 18 Uhr.

Selbstverständlich hat Claudia Krieghoff-Fraatz ihren Humor angesichts der Weltlage nicht ganz weggesperrt. Ihre Dioramen (oder Schaukästen) zum Beispiel erzählen eine Geschichte. „Nicht  mehr und nicht weniger“, sagt sie. Aber Obacht! Es sind keine Puppenstuben. Und für Kinder auch nicht geeignet. Es geht nämlich blutig und gruselig zu. Da ist der „Pathologe im Homeoffice oder Metzgermeister Altfleisch übernimmt als Quereinsteiger jetzt auch Obduktionen“. Das sagt eigentlich alles über die letzten zwei Jahre und eine Bildungspolitik, die der Meinung ist, Leute ohne methodische Fachausbildung nach einem Crashkurs vor Schüler stellen zu können. Nun mag das bei Pathologen und Fleischermeistern funktionieren – deren Klienten sind schon tot. Aber wie sehr der falsche oder schlechte Lehrer ein Fach versaut, das weiß jeder; weil fast jeder mit seiner Schulzeit auch einen nicht so begabten Pädagogen abgespeichert hat. Vielleicht ist dieser kleine Schaukasten vom Pathologen das Witzigste der Ausstellung. Obgleich auch da der doppelte Boden mitzudenken ist.

Possierlich aber ungeliebt: Die Ratte.

An der Stirnseite des Galerieraums begrüßen den Gast drei Großformate: „Die Ungeliebten“ sind sie benannt. Es sind kleine Tiere, ganz groß. Tiere, die der Mensch „aussortiert“ hat, die er eklig findet, nutzlos, entbehrlich. Es treibt Claudia Krieghoff-Fraatz um, dass der Mensch seine Mitgeschöpfe einteilt in Kuscheltiere (denen er manchmal eine abartige Liebe zukommen lässt), Nutztiere (die er auf dem Speiseplan hat und bis dahin quält) und den Rest. Wie zum Beispiel diese Kröte, die Schnecke und die Ratte – gemalt und sehr beeindruckend. Guckt die Ratte nicht sogar ein bisschen schelmisch? So, als wäre sie uns überlegen, obwohl wir sie auszurotten suchen und jagen.

Und dann gibt es noch die Ölbilder. Das am meisten schockierende: „Gott räumt auf“. Drei nackte Menschen hängen mit einem Fuß in einer Kette, die sie aufwärts ziehen wird. Oder ist es schon die Hölle? In die die Menschheit ohne Zweifel stürzt, wenn sie so weitermacht. Das Entsetzen darüber sieht man nicht, weil die Gesichter dieser drei Figuren verborgen bleiben. Oder muss man sich noch mehr über „…selig die, die schon begraben“ erschrecken? Eine Leinwand voller grauer Grabsteine, am Horizont ein grüner, verstrahlter Himmel, ein paar einsame Windräder wirken lächerlich. Im Vordergrund ein ausgemergeltes Kind mit einem armseligen Teddy im Arm. Sie habe nicht viel Hoffnung, sagt Claudia Krieghoff-Fraatz dazu, dass die Menschen es endlich begreifen und das Steuer noch herumzureißen in der Lage sind. Dass die Erde bewohnbar bleibt und nicht zum Opfer wird von Gier und Skrupellosigkeit einiger Weniger.

Pathologe im Homeoffice

Bei Krieghoff-Fraatz gibt es kein Bild ohne Titel. Sie wolle damit auch nichts oktroyieren, aber die Arbeit sei doch entstanden nach einer Auseinandersetzung, einem Anstoß, einem Nachdenken über Prozesse und Phänomene. Das kann der Betrachter genauso sehen oder anders. Er kann sich abgestoßen fühlen oder schockiert, er kann zustimmen oder sich verweigern. Aber damit verweigert er sich vor diesen Bildern Entwicklungen, denen man nicht ruhigen Gewissens zusehen kann!

Wie sagte es Caspar David Friedrich? Man male nicht nur, was man vor sich sieht, sondern auch das, was man in sich sieht. Und wenn man nichts in sich sehe, lasse man es lieber sein. Claudia Krieghoff-Fraatz sieht eine Menge auch in sich; sie wird umgetrieben von der Ignoranz der Menschen, von ihrer Bösartigkeit auch. Von einer Welt, die auf den Abgrund zurast und so tut, als wäre es gar nicht so schlimm…

Es ist eine beeindruckende Exposition, die hier gelungen ist. Deren „Emojis“ zu „Trauer“, „Wut“, „Depression“, „Angst“ und „Verzweiflung“ einen verfolgen können oder wo sich die „Seelensklerosen“ einbrennen: Sieben Frauen, die ähnliches ausdrücken wie die „Emojis“, aber gekrönt werden von „Glaube, Liebe Hoffnung“. Wenigstens das.

Aber: Claudia Krieghoff-Fraatz hat sich dennoch die Liebe zu ihrer Umwelt bewahrt. Sie kümmert sich um die Dorfkatzen, bezahlt schon mal den Tierarzt aus eigener Tasche. Und wenn sie sich entspannen will, malt sie sie. Entstanden sind witzige Kleinstformate (zum Mitnehmen gegen eine Spende – wahrscheinlich für die Samtpfoten!), worauf zahllose Katzen tollen, schmusen und unser Herz gewinnen. Daneben gibt es kleine Landschaftsaquarelle, die reinste Kontemplation und einfach nur schön sind.

Natürlich liebt die Malerin ihre Jane Austen trotz allem immer noch, deren literarische Sittengemälde aus dem England des frühen 19. Jahrhunderts, die mit den starken Frauen, deren Autorin nur 42 Jahre alt wurde. Auf das Cover zu einer Auflage von „Sinn und Sinnlichkeit“ schaffte es das Bild „Verstand und Gefühl“ trotzdem nicht, denn es zeigt ein Gehirn und ein blutiges Herz, das wie herausgerissen scheint. Weil an dieser Welt auch die Romantik verzweifelte.

Barbara Kaiser – 14. Oktober 2022

Die sieben Frauen der „Seelensklerosen“.

 

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