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Kammerorchester Uelzen lud zum jährlichen Konzert und bot wie immer Überraschendes

Nach einem Favoriten dieses Konzerts befragt, käm‘ ich in Verlegenheit. Wählte ich das kleine Konzert von Camille Saint-Saëns, weil ich so angetan war von dem erst 16-jährigen Hornsolisten? Nähme ich das ungewöhnlichste Hörerlebnis dieser zwei Stunden in St. Marien: „Solstice“ von Iwan Alexandrowitsch Tscherepnin, dem Tonsetzer mit den russisch-chinesischen Wurzeln, der in den USA lebte? Oder war doch die zweite Solistin an der Piccoloflöte am überzeugendsten? Wahr bleibt, der Leiter des Kammerorchesters Uelzen, Heiko Schlegel, hat wieder ein Programm zusammengestellt, das Staunen machte, weil es absolut Neues darbrachte und trotzdem Ohrenschmeichler nicht vernachlässigte.

Vielleicht der Reihe nach. Der Titel des Konzertabends lautete „Moment mal!“. Im Radioprogramm des NDR gibt es unter diesem Motto die alltägliche Predigt von Kirchenleuten, evangelisch, katholisch oder freikirchlich; das sind Minuten zum Innehalten und mit so mancher Weisheit. Da bedeutet „Moment mal!“ also ebenfalls, die ausgetretenen Pfade zu verlassen oder wenigstens auf ihnen still stehen zu bleiben, überdenkend, ob es nicht noch einen anderen Blickwinkel gäbe, Neues zu entdecken wäre.

So hat es Heiko Schlegel, der das Kammerorchester seit 23 Jahren leitet und es zu einer beachtenswerten musikalischen Qualität führte, mit seinem Programm gemacht: Halten Sie doch mal inne, liebe Zuhörer*innen, diese Art der Musik gibt es auch noch. Kennen Sie nicht? Dann hören Sie einfach zu!

Den Anfang durfte Thomas Brand mit dem kleinen „Morceau de Concert“ (was schlicht Musikstück heißt) op. 94 für Horn und Orchester von Camille Saint-Saëns machen. Man sah dem jungen Mann die Aufregung kurz an, aber sein erster Ton müsste ihn entspannt haben. Er blies engelsgleich mit sanften Ansätzen, sicher im Anlaut. Ein munteres Allegro ohne Fehl, ein Adagio zum Träumen schön. Und der Schluss mit strahlendem Dur, dabei nie überhitzt, das nur Freude und Optimismus verströmte. Konzertbesucher haben in diesem Landkreis schon einmal eine erfolgreiche Hornistin groß werden sehen – Thomas Brand wird man sich merken dürfen.

Die Nummer zwei auf dem Programm  war Benjamin Brittens Simple Symphonie op. 4 für Streichorchester. Ein viersätziges Werk, das sich mit Bourrée und Sarabande an die barocke Suite anlehnt. Bei Britten wird obendrein gefordert, dass die eine ausgelassen, die andere sentimental zu spielen sei, dazu ein „playful“ Pizzicato und ein sprühendes (frolicsome) Finale. Schlegel hält dieses instrumentale Gewusel auseinander und gleichzeitig zusammen: schnelle Läufe in den Celli, dazu ein Pizzicato in den Geigen. Der zweite Satz heißt gleich ganz „Pizzicato“, das ist furios in allen Instrumentengruppen. Ungewöhnlich auch, weil solch langes Zupfen der Saiten eigentlich oft nur der Mandoline vorbehalten bleibt. Die Sarabande ist ein Stück wie eine Trauerweide, jedoch eher besinnlich denn deprimierend. Gegen Ende hat sie entschlossene Passagen, die vom aufmunternden Satz vier beschlossen werden.

Heiko Schlegel hat mit den Jahren als Dirigent viel an Energie gewonnen, die er auch ausstrahlt und an seine Musiker*innen weiterzugeben in der Lage ist. Dazu kommen immer diese ungewöhnlichen Programmideen, sodass ein Kammerorchesterkonzert immer ein Gewinn ist.

Dafür steht auch das dritte Stück des Abends, bereits erwähntes „Solstice“ (Sonnenwende) von Iwan Tscherpnin aus dem Jahr 1983. Wer hier von den Instrumentalisten beim Zählen aus dem Takt kam, der konnte sein Notenheft zuklappen. Diese Klangfläche verlangte von allen höchste Konzentration. Instrumental vielfältig zwischen Streichern, Holz- und Blechbläsern sowie Harfe. Die Sonne geht langsam auf, erreicht den höchsten Punkt ihrer Jahreslaufbahn – wie wir sie sehen wollen, die Sonne bewegt sich ja nicht – und vielleicht tönt sie dabei. Wer weiß es schon? So wie es bei Goethe heißt: „… in Brudersphären Wettgesang. Und ihre vorgeschriebne Reise/ Beendet sie mit Donnergang.“ Beeindruckend.

Den zweiten Soloauftritt des Abends absolvierte Luisa Piewak mit der Piccoloflöte. (am Cembalo dazu: Ghislaine Sziden-Schmidt). Das Concertino von Allan Stephenson war eine überwiegend sehr fröhliche Angelegenheit. Man denkt kurz an „Peter und der Wolf“, freut sich über ein wunderbares Legato in Satz zwei und das tadellose Miteinander von Solistin und Orchester. Beim Marsch des dritten Satzes kommt einem ein Tambourmajor in den Sinn und hüpfende Kinder, die neben dem Musikzug laufen. Ich gebe zu, meine Bilder sind vielleicht aus einer anderen Zeit… Luisa Piewak war Herrin über die zahlreichen schwierigen, schnellen Passagen, manchmal vielleicht hart am Grellen, überzeugte ihr Publikum aber restlos.

Zum Abschluss gab es noch die „Sérènade für Kammerorchester“ von Jean Francaix (1912 bis 1997). Die klang nun so gar nicht nach zeitgenössischer Musik, was die Lebensdaten des Komponisten nahe gelegt haben könnten, sondern waren Noten voller Rhythmik, frech und flott. Der Schlusssatz was zum Schunkeln im Dreiachteltakt, auf jeden Fall ein Rausschmeißer.

Für das Konzert gab es freudigen Beifall. Auch dafür, dass es wieder was zu lernen und neu zu hören gab. Danke dafür!

Barbara Kaiser – 01. Oktober 2023

 

 

 

 

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