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Gruppe „beherzt“

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Martin Raabe und „die Völkischen“ auf dem Land

„Gefahr! Rechtsextremismus. Positionen – Entwicklungen – Prävention“ – so ist das mittlerweile 12. Uelzener Forum überschrieben, das am 19.11.2021 online stattfand und sich in mehreren Vorträgen und Workshops mit dem brisanten Thema befasste. Einer, der sich mit dem Thema der „Völkischen“ in dieser Region auskennt und beschäftigt wie kein anderer, ist Martin Raabe, 72 Jahre alt und Pastor im Ruhestand. 2018 fanden sich Menschen, oft Nachbarn von Völkischen in der Gruppe „beherzt“ zusammen – um den „rechten Netzwerken ein stabiles Gegengewicht entgegenzustellen“. Janina Fuge sprach mit ihm über die Rechtsextremen in der Region.

Martin Raabe

Herr Raabe – wenn es um die „Völkischen im ländlichen Raum“ geht: Von welchem Problem sprechen wir?

Martin Raabe: In den vergangenen Jahren haben wir zwei Beobachtungen gemacht: Zum einen ist auffällig, dass – auch mit dem Aufwind der AfD – Unsagbares sagbar wird, sogar im Bundestag. Zum anderen gibt es die Strategie rechter Netzwerke, Leute aus den eigenen Reihen nachzuholen in unsere Dörfer. Konkret heißt das: In unserer Region, in vielen Dörfern auf dem Land zwischen Harburg und Celle, Dorfmark und Ludwigslust sind aktuell um die 100 Familien mehr oder weniger aktiv, denen ‚rechte‘ Vorstellungen und ‚rechte‘ Lebensweisen zu eigen sind. Das Spektrum ist dabei sehr breit, es sind Menschen mit völkischem Gedankengut, aber auch Artamanen, Anastasia Anhänger. Im Grunde geht es um die Ideen der „Artgemeinschaft“, mit ihrem sehr speziellen Sittengesetz. Sie alle eint aber, dass sie eine langfristige Vorstellung von einer komplett anderen Gesellschaftsform haben. Das macht es gesellschaftspolitisch sehr, sehr brisant.

Wie erkenne ich denn dieses rechte Gedankengut?

Martin Raabe: Diese Gruppen agieren in aller Regel nicht offensiv und offensichtlich, sie gehen nicht brachial vor. Kinder sind meist hervorragend gebildet, ihre Eltern decken das ganze Berufsspektrum ab, es gibt viele Handwerker, Mediziner, Anwälte, Ausbildungen für Lehr- und Heilberufe sind generell sehr beliebt in dieser Klientel. Man gibt sich stets hilfsbereit – überhaupt ist das ganze Netzwerk darauf ausgelegt, einander zu unterstützen. Ein klares Bekenntnis: „Wir sind Völkische“ wird es aber nicht geben. Generell ist ein offener Diskurs weder möglich noch gewollt. Was es im Zweifel gibt, sind lange, ausufernde Monologe über die eigene Weltsicht. Dabei kommt immer auch wieder vor, dass sie eine sehr trügerische Ruhe in einer zunehmend komplexen Welt suggerieren und sehr einfache Lösungen anbieten. Für viele klingt das verlockend.

Und diese Leute sind wirklich gefährlich?

Martin Raabe: Die Gesinnung, das Weltbild und die Vorstellung der Umsetzung ist für unser Gemeinwesen gefährlich. Deutlich ist, dass sie bemüht sind, sich diesseits der Grenze des Illegalen zu bewegen. Und trotzdem: Sie wollen eine Gemeinschaft, in der es keine Demokratie, keine Meinungsfreiheit, keine Gleichberechtigung mehr gibt, im Prinzip den gesellschaftlichen Rücksturz in die Zeit vor der Aufklärung. Etwas entgegen zu setzen, dafür setze ich, setzt sich die Gruppe „beherzt“ ein.
Es ist tatsächlich auch so, dass diese Gruppe von Leuten ganze Dorfgemeinschaften spaltet. In einem Dorf haben wir das erlebt. Über viele Jahre gab es dort jährlich ein spezielles Dorffest. Nachdem die ursprünglichen Organisatoren nicht mehr weitermachen wollten, haben es neue Bewohner übernommen, die wir einer solchen rechten Gruppierung zuordnen. Es gibt nun Einwohner, die auf ihrer Seite sind, manche dulden sie auch einfach kurzerhand. Und andere sind total dagegen. Das bringt so ein Gemeinschaftsleben schon ordentlich durcheinander. Und es ist schwierig, darüber zu reden.

Was machen Sie denn mit „beherzt“?

Martin Raabe: „beherzt“ ist kein Verein, sondern eine lose Gruppierung von Gleichgesinnten – im Grunde von betroffenen Nachbarn. Wir wissen, dass wir „diese Leute“ hier nicht mehr wegbekommen. Aber ihren starken Netzwerken wollen wir unser eigenes entgegensetzen. Wir stellen Kreuze auf. Wir beziehen Stellung. Wir sprechen uns für unsere Werte aus. Und wir möchten sensibilisieren, denn vieles zeigt sich erst sehr spät. Was zum Beispiel ist das richtige Verhalten, wenn eine völkisch gesinnte Mutter für sämtliche Schulfeste des Kindes immer wieder Kuchen backt und einfach sehr präsent ist? Wie begegnet man denn Hilfsbereitschaft – die ja per se überhaupt nicht kritisierenswert ist? Da helfen als „Gegenargument“ manchmal nur unkonventionelle Ideen. Im Zweifel: Mehr Kuchen backen.
Wir bemühen uns auch immer wieder um Gespräche – beispielsweise mit Maklern, die immer wieder mit Strohmännern zu tun haben, die für „Rechte“ Immobilien – alte Hofstellen – erwerben sollen. Es wird nun von Seiten der Immobilienmakler und -maklerinnen überlegt, sich einen Ehrenkodex zu geben, nicht an „die Rechten“ zu veräußern. Das ist nicht leicht, aber wäre ein schöner Erfolg.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Martin Raabe: Ich möchte mich dafür einsetzen, dass solche Leute nicht die Meinungshoheit über die Stammtische unserer Region erlangen. Antidemokratisches Denken macht unsere Gesellschaft kaputt. Und ich glaube, wer für eine demokratische, meinungsvielfältige Welt ist, hat einfach die bessere Vorstellung für die Zukunft. Wenn’s ein Wettbewerb sein müsste – dann würde ich diesen gern gewinnen.“

[Janina Fuge]

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