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Ganz wenig Hoffnung

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Premiere im Jahrmarkttheater: „Durst“ von und mit Torsten Hammann

Wow! Was für ein Theaterabend! Er wird wohl lange in Herzen und Hirnen der Zuschauer gären und rumoren. Und sie, die Zuschauer, dürften hin und her gerissen sein: War dieser Schluss nun wirklich ein Stückchen Hoffnung? Oder die poetische Kapitulation? Vor den Problemen dieses 21. Jahrhunderts mit all seinen Krisen und Kriegen.

Torsten Hammann hat ein „Märchen, nicht für schwache Nerven“, geschrieben und erzählt es in der Zusammenarbeit mit Thomas Matschoß und Anja Imig auch selbst. Er sitzt im roten Lehnstuhl, vor ihm eine Feuerschale, deren Holz er auch bald entzünden wird. Was Gemütlichkeit suggeriert ist eher das Bild für Alarm: Die Erde brennt an allen Ecken und Enden, wir aber tun so, als ginge es uns nichts an. Auch das befragte Publikum in der Generalprobe hatte wenig Hoffnung, denn es beantwortete die Frage von Thomas Matschoß alias Oma Sanne negativ: Ja, die Menschen werden blöd genug sein, den Ast, auf dem sie sitzen, weiter abzusägen.

Keine Lagerfeuer-Romantik also. Was erzählt man sich an Lagerfeuern? Unglaubliches, Schauergeschichten, Abenteuer. Worum geht es also in „Durst“, dem Stück, für das das Jahrmarkttheater das erste Mal in seiner 15-jährigen Spielzeit eine Altersbeschränkung für die Zuschauer festsetzt: Ab 12 Jahre.

Da leben Enno, Miriam und Joschi (7) in einer Hütte irgendeines Strandes. Egal wo, die Erde ist überall viel zu heiß. Wir schreiben das Jahr 2078. Süßwasser ist knapp und teuer und rationiert. Heilsversprechen bringt ein Vertreter einer Art Reisebüro, der Schlauchboote (sic!) verkauft. Nebenbei: Was er mit dem so zusammengerafften Geld machen will, ist unklar; vielleicht sich ein Jahr länger Trinkwasser kaufen – keine Ahnung. Miriam sieht und ergreift gegen den Willen ihres Mannes  die vermeintlich letzte Möglichkeit, sie folgt der Verheißung „Sweet Water 11“. Sie macht sich auf den Weg zu diesem Planeten, auf dem es Wasser geben soll. Weil das Boot nicht groß genug für die ganze Familie ist, bringt sie den Mut auf, ins Ungewisse allein aufzubrechen.

Torsten Hammann ist ein Erzähler, der sein Publikum in den Bann zieht. Er entwickelt allein mit der großen Variabilität seiner Stimme und nur wenigen Gesten, ohne Bühnenbild außer der beschriebenen Szenerie oder spektakulärem Kostüm einen unglaublichen, ja, unheimlichen Sog. Dieser Mann ist ein einnehmender Solitär der Schauspielkunst.

Nun wäre die scheintheatrale Abbildung von Zeitgeschehen der Todesstoß für die Kunst, aber so geht diese Erzählung nicht, obgleich sie natürlich das größte Problem, die größte Katastrophe der Gegenwart thematisiert: Den Klimawandel und alle Folgen, die heute tagtäglich zu besichtigen sind. Und so ist auch Hammanns „Märchen“ zwar das Destillat alltäglicher Ereignisse, trotzdem aber eine Geschichte voller Fantasie, eine Erzählung des (Er)Schreckens.

Da ist nirgendwo schriller Jahrmarkt, lautsprecherische Aktion, sondern ganz viel Stille und Sinn für das im Verborgenen wirkende Zerstörerische. Dieses „Märchen“ ist ein Störer des fatalen Friedens, den wir uns viel zu gerne vorlügen. Wenn wir Verzicht immer von anderen verlangen und uns trösten mit einem „So schlimm wird es schon nicht kommen“. Es bringt aber auch eine ganz eigene Zuversicht auf die Bühne, die an keiner Stelle übermütig ist, sondern eher voller Trauer und Schmerz.

Das Theater ist kein Autist, es spricht mit uns, zu uns. Nicht nur, weil Oma Sanne die Erzählung hin und wieder unterbricht durch Fragen oder Erklärungen. Was einer Wohltat gleichkommt, weil man als Zuschauer einmal durchatmen kann in dieser unerträglichen Spannung. Denn alles auf der Bühne ist Zeichen, und wir Zuschauer wissen natürlich, dass sich das künstlerische Zeichen nicht auf einen realen Grund festlegen lässt, obwohl Gegenwart verhandelt wird. Theater muss auch Wahrheiten verkünden, die nicht immer Freunde hat: Der Planet „Sweet Water 11“ ist mitnichten die neue Verheißung, sondern ein Planet der Reptilien. Keine Blumen, keine Hunde, nur Diamanten. Kein Süßwasser. Nirgends. Nebenbei: Realisten könnten einwenden, dass die Meerwasserentsalzungsanlagen schon lange erfunden sind – aber darum geht es nicht. Und so ist Miriams Befreiung nach einjähriger Gefangenschaft zwar das Ende des einen Alptraums, aber was soll sie auf der Erde, wo sich die Zeit inzwischen 400 Jahre weitergedreht hat. Trotzdem kommt sie mit 12 kleinen Zwitterwesen, halb Echse, halb Mensch, aber immerhin Lebewesen, dort an, von wo sie sich einst aufmachte. Eine Lösung kann das Leben, das sie nun zu führen gezwungen ist, nicht sein. Aber es war eben nur ein Märchen, das Torsten Hammann erzählte. Obwohl sein Ausgangspunkt erschreckend real ist…

Premiere hat „Durst“ am Freitag, 20. Mai 2022. Gespielt wird danach am Samstag, 21. Mai, Donnerstag, Freitag, Samstag, 26./27./28. Mai, Freitag und Samstag, 03./04 Juni 2022, immer 19.30 Uhr, in Bostelwiebeck. Dem Stück sind viele nachdenkliche Zuschauer zu wünschen, auf  Entspannung sollten die allerdings nicht aus sein.

Barbara Kaiser – 18. Mai 2022