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Aktuelles Feuilleton

Fotografierender Architekt und kundiger Kunstliebhaber

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Zum Tod von Lutz Michaelis

Zuletzt gesehen habe ich Lutz Michaelis bei einem Tee-Plausch in seinem großzügigen Appartement seiner Seniorenresidenz und bei der Einweihung des Theaters vergangenen Oktober. Dafür hatte sich der 88-Jährige noch einmal auf den Weg gemacht, obgleich die Veranstaltung sicherlich nicht seinen Ansprüchen genügt haben dürfte. Da saß er schon im Rollstuhl, denn die tückische Krankheit, die ihm die Sicherheit für die Bewegungen nahm, schritt unbarmherzig fort. Und nach dem Tod seiner Frau Ingeborg im November 2012, war für ihn die Welt sowieso nicht mehr so wie vorher.
„Meine liebe Frau“ war für ihn keine Floskel. Der Rückblick auf das Leben mit ihr war voller Erlebnisse, zwischen Südamerika, Hurtig-Routen-Schiffsfahrt und einem Hotel in Kühlungsborn, voller Anstrengungen, Arbeit und Freude. Lutz Michaelis war bis zum Ende an Gesprächen interessiert geblieben. Aufgeschlossen, wenn auch manchmal dickköpfig. Und er war, so schien es, nach dem Tod seiner Frau bedenkender und vor allem leiser geworden. Am 10. April 2023 ist er nun gestorben.

Wenn einer fast neun Jahrzehnte gelebt hat, ist verbleibende Zeit am Ende Frist. Aber Michaelis hatte sich nicht vergraben. Er hatte ja sein Leben lang gearbeitet, war immer tätig gewesen. In dieser Stadt zeugen viele Gebäude davon. Und obwohl der Traum von der Galerie, eröffnet wurde die „Im Stall“ in Niendorf II im Jahr 1995, schon lange abgeschlossen werden musste – es schleppt jeder seine Verluste durchs Leben – blieb Lutz Michaelis interessiert an präsentierter Kunst vor Ort. Hin und wieder sah man ihn noch auf den Vernissagen des Kunstvereins.
Geboren am 31. August 1934 in Berlin, wuchs Lutz Michaelis in Eisenach auf. Für ihn war es vor allem die Luther- und Bach-Stadt, denn musisch offen war er schon immer. Er sei ein Träumer gewesen, bekannte er einmal, der in der Schule getadelt wurde für wiederholtes aus dem Fenster gucken. Er hatte gemalt und Gedichte geschrieben. Es gibt nicht viele, die solch vorpubertäre Verfasstheit im Alter noch zugeben, zumal man sich das bei Lutz Michaelis, der eher militärisch streng daher kam, nicht vorzustellen vermochte. Für den Jungen war es aber eine Flucht aus einem soldatischen Alltag, der vor allem Disziplin und Funktionieren – auch im Elternhaus – abverlangte und erwartete. Solch frühen Drill zu ignorieren, gelingt auch in einem langen Leben nicht. Nach 1945 bestand der Offiziersvater auf einer Gefangenschaftsentlassung in eine Westzone. So fand sich die Familie in Uelzen wieder.

Lutz Michaelis mit seiner Frau Ingeborg, ca. 2005.

Lutz Michaelis machte hier (am späteren HEG) im Jahr 1954 das Abitur und begann ein Architekturstudium an der Technischen Hochschule Hannover. Er legte Wert darauf, dass damals eine zeichnerische und plastische Techniken umfassende Ausbildung zum Pflichtprogramm dieser Jahre gehörte. Freiwillig dazu wählte er Spezialgebiete der deutschen Literatur. Im Jahr 1961 schloss er nach 14 Semestern sein Studium ab – zu viel Ablenkung in der Großstadt, sagte er! Im Jahr 1966 kehrte er, der die Kleinstadt eigentlich meiden wollte, für den Rest seines Lebens nach Uelzen zurück.
Nach der Arbeit im Architektenbüro Karl Schlockermann wagte er 1968 den Schritt in die Selbständigkeit. Sein Credo war immer, nicht nur zeitgemäße Architektur zu schaffen, sondern auch menschliches Wohnen zu ermöglichen, individuelle Lebensfelder zu schaffen. Er entwarf zahlreiche Einfamilienhäuser, Geschäftsfassaden, Kindergärten, Schulen. In Uelzen zeugen vor allem die Jugendherberge von seiner Handschrift, das Gemeindezentrum St. Johannis, das Gebäude der Uelzener Versicherung und das Arbeitsamt.

Seit seinem 60. Lebensjahr widmete sich Lutz Michaelis ausschließlich seiner zuvor nur „Nebentätigkeit“, der des Sachverständigen. Und er kehrte mit der Eröffnung der Galerie „Im Stall“ zurück zu seinen musischen Wurzeln. Obwohl das Wort „Leidenschaft“ nicht zu Lutz Michaelis zu passen scheint – er lebte für die seinen ohne großes Getöse. Bekannte und das Stammpublikum „Im Stall“ werden das bezeugen. Mehrere eigene Ausstellungen mit Fotografien, die den technischen Details von Industriedenkmalen genauso Aufmerksamkeit widmeten wie stillen Landschaften, waren kühle wie interessante Dokumentationen.
Erinnerungen sind oft Zuflucht vor dem Heute, aber auch Fluch des Gestern. Lutz Michaelis hatte sich in den letzten Jahren herausgewühlt aus einem tiefen Tal. Er konnte sich, so schien es, einem Gesprächspartner mit viel mehr Interesse für diesen öffnen und zuwenden, als er es früher zu tun in der Lage war. Und er kochte den besten schwarzen Tee, den ich je getrunken habe! – Nun ist Lutz Michaelis seiner Frau Ingeborg nachgefolgt. Im öffentlichen Leben Uelzens war er schon ein paar Jahre nicht mehr präsent. Hinterlassen hat er aber seine Spuren darin sehr wohl.

Barbara Kaiser – 12. April 2023