Zurück in Deutschland arbeitet sie im Künstlerhaus Spiekeroog, danach für eine Agentur, die Malreisen vermittelt. Auch in Onlinegalerien ist sie präsent. Die funktionierten wenigstens auch in der Zeit von Corona. Jetzt lebt Anke Gruss in Lüneburg und fand, wie sie sagt, in der Gruppe des BBK Uelzen „eine gewisse Offenheit“. Nach diesem umtriebigen Leben mag es auch die Suche nach einem Ruhepol gewesen sein. Hat sie ihn nun gefunden?
Ihre Bilder erzählen eigentlich noch von der alten Hatz. Sie spiegeln unser Zusammenleben, indem sie es als ein flüchtiges, oberflächliches darstellt. Es wird gerannt, gehetzt, schnell, schnell, schnell. Auf die Frage „Wie geht es dir?“ erwarten wir doch schon lange keine Antwort mehr, weil eine negative uns vielleicht zur Anteilnahme aufforderte oder gar verpflichtete. Der größte Teil der Arbeiten in der Galerie sind solche, wie sie vor unserem Auge entstehen, wenn wir aus dem Augenwinkel Geschäftigkeit und Schnelligkeit wahrnehmen. Verwischte Konturen, reflektiert in Pfützen oder Scheiben. Es sind Großstädte in ihrem größenwahnsinnigen Lichterglanz, Großstädte und das, was sie mit den Menschen machen. Wir bleiben uns fremd dort, wir eilen aneinander vorbei. Uns interessiert der Nachbar nicht.
Ganz anders kommen die Naturbilder (aus Norwegen) daher. Die sind auch von strömender Plastizität, von heftigen Strichen belebt, vermitteln aber eine gewisse Ruhe und Kontemplation. Es sind räumliche Erlebnisse, in denen sich Moderne und Expressionismus küssen. Die eindrucksvolle farbliche Instrumentierung der Städtebilder verteilt mit der Kraft der Fantasie und wohlüberlegt, die Landschaften sind fast monochrom. Alle jedoch scheinen aus spontanen Farbaufträgen, aus Unregelmäßigkeiten, Flecken und Verläufen eruptiv hervorzuwachsen. Licht und Schatten schaffen Unvorhersehbares, weil die schönste Wahrnehmung die ist, anders zu sehen als man soll. Die Arbeiten von Anke Gruss sind nicht künstlerisch verrätselt, sondern von Natur aus geheimnisvoll; es sind Visionen und Schauspiele, in denen sich die Farbe wie diffuse Lichtquellen im Nebel entfaltet.
Vielleicht würde der 51-Jährige diese Beschreibung gefallen, denn für sie muss ein Bild „fast hörbar sein“. Man merke ihr wohl an, dass sie vom Trickfilm herkomme, sagt sie: Ein Bild – ein „Filmstillleben“.
Die Ausstellung ist geöffnet an den Wochenenden 30. April/01. Mai, 07./08. Mai von 14 bis 17 Uhr. Am Freitag, 13. Mai, 16 bis 18 Uhr und am Sonntag, 15. Mai, von 14 bis 17 Uhr. Prädikat: Sehr empfehlenswert!
Barbara Kaiser – 28. April 2022